piwik no script img

Keine Blumen mehr aus Berlin

■ Kreuzberger Blumengroßmarkt soll Ende 1995 geschlossen werden / Händler lehnen den Umzug nach Brandenburg ab / Zu weite Wege und zu hohe Kosten

Viele von ihnen sind vorher noch nie auf einer Demonstration gewesen. Jetzt stehen sie schon zum dritten Mal vor dem Roten Rathaus. „Wir wollen frische Blumen aus Berlin“ und „Wir lassen uns nicht aus Berlin vertreiben“ steht auf ihren Plakaten, viele sind grün und mit Blumen verziert. KäuferInnen und VerkäuferInnen des Blumengroßmarktes an der Friedrichstraße demonstrierten damit am Montag abend gegen die Schließung ihres Marktes.

Was seit 1979 bereits im Gespräch ist, ist jetzt beschlossene Sache: Der Senat, dem das Grundstück gehört, auf dem seit über hundert Jahren frühmorgens Blumen gehandelt werden, will den Mietvertrag zum Ende 1995 kündigen. Der Blumengroßmarkt soll dann ins brandenburgische Langerwisch, 20 Kilometer südwestlich von Berlin, umziehen. Die Begründung des Senats: Lärmbelästigung der AnwohnerInnen und fehlende Erweiterungsmöglichkeiten an der Friedrichstraße. Letzteres sei notwendig, weil Betriebe aus dem Ostteil der Stadt und aus Brandenburg keine Standflächen bekommen könnten. Außerdem habe die Blumengroßmarkt Wirtschaftsgenossenschaft GmbH, ein Zusammenschluß der Händler und Gärtner, sich für Langerwisch ausgesprochen.

„Die Verlegung wird von den Händlern abgelehnt“, widerspricht Eberhard Gumz von der Initiative zur Erhaltung des Blumengroßmarkts. Die Genossenschaft habe nicht zugestimmt, sondern nur Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Ein neues Gutachten zeige, daß bei einer Verlegung 80 Prozent des Einzelhandels anderswo einkaufen würden. „Daraufhin haben wir dem Wirtschaftssenator mitgeteilt, daß der Wille und die wirtschaftliche Kraft zum Umzug nicht ausreiche.“ Der kurze Weg in der Stadt sei für den Einzelhandel notwendig. „Die fahren doch nicht 40 Minuten raus aufs Land“, sagt Großhändler Gumz.

„Bei dem Verkehr und der Entfernung müßte ich dann statt um halb sechs um drei oder vier losfahren“, erklärt auch Harry Piehl, Inhaber eines Neuköllner Blumengeschäftes. Wie viele seiner KollegInnen würde er dann auf „die Holländer“ umsteigen, die die Waren liefern. Diese seien aber teurer und die Blumen nicht täglich frisch. „Dann ist es mit dem preiswerten Markt in Berlin vorbei“, befürchtet Großhändler Gumz. „Wir haben jetzt den höchsten Blumen-Pro-Kopf-Verbrauch in ganz Deutschland“, sagt er stolz, „weil sich eben auch der Arbeiter Blumen leisten kann.“

Über die Hälfte der knapp 70 GroßhändlerInnen und GärtnerInnen würden bei einem Umzug des Blumengroßmarkts außerhalb Berlins aufgeben. Auch der 61jährige Gumz würde sich zur Ruhe setzen, weil sich die Investition nicht mehr lohne. „Insgesamt werden von den 300 Arbeitsplätzen hier im Großmarkt nur 50 übrigbleiben.“ Ingeborg Gerhards Stelle gehört nicht dazu. Auch ihr Chef würde das Geschäft schließen. „In meinem Alter hab' ich doch keine Aussicht auf einen neuen Job“, sagt die 57jährige, die seit 25 Jahren als Verkäuferin auf dem Blumengroßmarkt arbeitet. Auch Großhändlerin Ursula Bittermann würde nicht nach Langerwisch mit umziehen. „Rund um Berlin gibt es schon viel zu viele Märkte“, sagt sie. „Da ist die Pleite schon vorprogrammiert.“

Die HändlerInnen wollen deshalb den Kern des Geländes, die 6.400 Quadratmeter große Halle, kaufen. Mit zehn Prozent hatten sie sich 1964 bereits an den Baukosten beteiligt. Auf dem Rest des Areals wäre trotzdem Platz für Neubauten und einen Park, den Kreuzbergs Baustadträtin Erika Romberg dort anlegen möchte. Die grüne Stadträtin ist ebenfalls gegen die Verlegung nach Langerwisch. „Man braucht eine innerstädtische Blumenversorgung“, sagt sie, „aber sie müßte kleiner sein.“ Für das Gelände an der Friedrichstraße favorisiert die Politikerin „kleinteilige, vielfältige Nutzung mit Einzelhandel, Kultur und Sport“. Konkrete Pläne dafür gibt es aber noch nicht. Sabine am Orde

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen