„Kein Grabstein. Nirgendwo!“

■ Der schweizerische Journalist und Schriftsteller Niklaus Meienberg beging am letzten Freitag Selbstmord

Niklaus Meienberg galt in der Schweiz mit ihrer eher trögen Medienszene als der furiose Nestbeschmutzer und Tabukratzer, war einer der ersten, der mit brillant geschriebenen historischen Reportagen und politischen Pamphleten Journalismus auf Literaturniveau betrieb.

Der Start seiner journalistischen Laufbahn entsprach dem Hang des 1940 im ostschweizerischen St. Gallen Geborenen zum Frankophilen: Ab 1966 arbeitete er knapp fünf Jahre als Korrespondent der Weltwoche in Paris. Meienbergs Stärke aber wurde nach seiner Rückkehr zu den Eidgenossen die fundierte wie gnadenlose „Heimat“-Reportage, die am Lack helvetischer Selbstgerechtigkeit ritzte: Etwa seine „Reportagen aus der Schweiz“ (1975), in denen er die Nazifreundlichkeit schweizerischer Großindustrieller anprangerte; der Film „Die Erschießung des Landesverräters Ernst S.“ (1976); das Buch „Es ist kalt in Brandenburg“ (1980) über den schweizerischen Hitler-Attentäter Maurice Bavaud. Oder die grandiose Geschichtsreportage „Die Welt als Wille und Wahn“ (1987), die Lebensgeschichte der Generalsfamilie Wille und ihre geistige Verwandtschaft zum Deutschen Reich. Beim Zürcher Tagesanzeiger bekam Meienberg 1976 Schreibverbot, das erst 1990 (!) wieder aufgehoben wurde. Den Zensurakt verdankte Meienberg einem erfrischend respektlosen Artikel zum 70. Geburtstag des Fürsten von Liechtenstein unter dem spöttischen Titel „Einen schönen durchlauchten Geburtstag für S. Durchlaucht“.

In die Hose ging bald darauf auch sein einziges journalistisches Intermezzo bei einem deutschen Arbeitgeber: 1982 ging Meienberg erneut nach Paris, dieses Mal als Korrespondent der Illustrierten Stern. Nach nur knapp neun Monaten beschrieb Meienberg das Ende seines Gastspiels in der germanischen Medienszene mit den Worten: „Demission wegen Unverträglichkeit der journalistischen Konzeptionen. Bums!“ Seine Texte erschienen in den folgenden Jahren vor allem in der linken Wochenzeitung (woz), später auch wieder häufiger in der Weltwoche.

Meienberg arbeitete mit Skalpell und Holzhammer: Mit scharfem Intellekt und chirugischer Präzision sezierte er die Schichten und Ablagerungen der helvetischen Gesellschaft. Auf Kritik anderer dagegen reagierte er, vor allem in letzter Zeit, oft ungehalten, schlug mit der vollen Breite seiner ungeheuren Sprachgewalt und mit der Deftigkeit eines Holzhauers zurück. Eine feministische Sprachforscherin kritisierte einmal die typisch männlichen Klischees in seinem Wortschatz.

Die Zäsur in Meienbergs Verhältnis zur schweizerischen Medien- und Intellektuellenszene brachte der Golfkrieg. Meienbergs Analysen und Kommentare duldeten keine Nuancen mehr, kannten nur noch Gute und Böse. Bums! Und die Bösen waren überall. Seine Interpretationen des Golfkrieges nahmen, so warfen ihm Freunde vor, weltverschwörerische Züge an. Zum Eklat mit seinem Leib- und Magenblatt, der Wochenzeitung, kam es, als das Blatt wegen einer vermeintlich antisemitischen Passage einen Text Meienbergs kippte. Meienberg hatte auf die jüdische Abstammung amerikanischer Kriegs-Lobbyisten hingewiesen. Das war, als irakische Scud-Raketen auf Israel niedergingen. Sein nächstes Großprojekt sollte ein Buch über den Golfkrieg werden.

Die Bedingungslosigkeit, mit der Meienberg seine Positionen in der Golfkriegsdebatte verfocht, schnürten ihn selbst von seinem sozialen Umfeld ab. Selbst langjährige Freunde entzogen sich der Auseinandersetzung mit dem wortgewaltigen Spötter, der in seinem Eifer, so berichten sie, grob, ausfallend und persönlich verletzend wurde. Meienberg geriet zusehends in die Isolation.

Ausgerechnet in dieser Phase der Vereinsamung wurde der Wortgewaltige ein Opfer schlichter körperlicher Gewalt: Auf dem Heimweg im Zürcher Stadtteil Oerlikon widerfuhr Meienberg im vergangenen Jahr, was jedem Normalbürger nachts in Zürich passieren kann: Er wurde von Unbekannten überfallen, ausgeraubt und zusammengeschlagen, trug eine schwere Augenverletzung davon. 1993 folgte ein schwerer Motorradunfall in Frankreich. Als im Januar dieses Jahres sein Gedichtband „Geschichte der Liebe und des Liebäugelns“ erschien, schien der Autor für eine Weile stabilisiert, fanden ihn Bekannte wieder umgänglicher, weniger verhärmt.

Trotzdem hat Meienbergs Selbstmord unter Freunden und Bekannten Bestürzung und Entsetzen, aber wenig Überraschung ausgelöst. Es war keine Tat im Affekt. Der Reporter hatte, was er sonst nach Auskunft von Freunden nie tat, seinen Schreibtisch aufgeräumt, hatte sogar seine Todesanzeige selbst aufgesetzt, samt der Anweisung: „Meine Asche im Oberlauf der Seine. Kein Grabstein. Nirgendwo!“ Kompromißlos wie immer. Bums!

Nach dem Straßenüberfall 1992 hat Meienberg in einem nie veröffentlichten Interview der Sonntagszeitung gestanden, er fühle sich „psychisch invalid“ und fürchte, „nicht mehr klar denken zu können“. Und fügte hinzu: „Dann wäre ich eine soziale Leiche, für die Gesellschaft nur noch eine Last. Ich müßte entfernt werden, oder ich müßte mich selber entfernen...“

Diese Woche erscheint Meienbergs letztes Buch „Zunder“. Die Reportagensammlung trägt den Untertitel: „Überfälle, Übergriffe, Überbleibsel“. Thomas Scheuer