Dokumentation
: „Widerlicher Schlüssellochjournalismus“

■ Das RAF-Mitglied Birgit Hogefeld zu den in Bad Kleinen sichergestellten Briefen

Meine Frage ist die: Wieso denkt Ihr, das Recht zu haben, so private Dinge von anderen Menschen (wie unsere Briefe) zu veröffentlichen, ohne sie vorher zu fragen? Ja – Ihr hättet uns fragen müssen! Und wir hätten mit Sicherheit nein gesagt.

Ich finde diesen Schlüssellochjournalismus widerlich, das sowieso, und ich finde es eine wirkliche Gemeinheit, daß Ihr Passagen aus Briefen meiner Mutter an mich genüßlich euren LeserInnen auf den Frühstückstisch werft.

Ich kenne euren eigenen Anspruch als JournalistInnen nicht, aber hat eine Meldung schon deshalb Informationswert, weil ein Wolfgang Gast sich „verblüfft die Augen reibt und in einen anderen Film versetzt fühlt“ – fallen deshalb alle Grenzen? Die Briefe, wären sie von anderen Menschen geschrieben, würden niemanden interessieren, es ist ja eigentlich zum Lachen, das einzig Interessante (für Euch) ist doch „nur“, daß wir dasselbe machen wie andere Leute auch: Essen kochen, Briefe schreiben, die Eltern treffen usw.

Klar, so was paßt nicht zu dem Bild, das Ihr von uns habt (wenn die Veröffentlichung unserer Briefe bewirken würde, daß Mystifikationen und Projektionen nicht aufrechterhalten werden könnten, hätte sie ja wenigstens einen positiven Zweck erfüllt). Hinzu kommt sicher, daß sich die allermeisten unter einem Leben in der Illegalität überhaupt nichts vorstellen können und denken, daß vieles so ist, wie es die staatliche Propaganda behauptet: gejagt, gehetzt, auf der Flucht usw. – aber solche Situationen sind die Ausnahme, sie bestimmen das Leben nicht.

Trotzdem war's für mich eine Zeitlang so, daß ich mein Leben in der Illegalität als eine Art Ausnahmezustand gesehen habe. Wenn du diese Entscheidung triffst, dann schaust du dir automatisch an, wie das für diejenigen gelaufen ist, die vor dir dieselbe Entscheidung getroffen haben, und das war: 2, 3, maximal 5 Jahre Illegalität. Viele sind erschossen worden, viele für ewig im Knast gelandet. Das als Konsequenz deiner eigenen Entscheidung bedeutet, daß du dein Leben in Freiheit schon als zeitlich begrenzt siehst. Mit der Zeit erst wurde mir klar, daß das so nicht geht, daß ich überlegen muß, wie ich unter diesen Bedingungen mein Leben führen will, und habe angefangen, immer mehr Bereiche (neu oder wieder) ins Leben aufzunehmen (auch Brot backen – warum denn nicht?) – trotzdem weißt du immer, daß es jederzeit so abrupt enden kann, wie das für Wolfgang und mich in Bad Kleinen dann war.

Hinter dem Kontakt zu meinen Eltern politische Gründe zu suchen, wie Wolfgang Gast das macht, obwohl er unsere Briefe gelesen hat (aber Lesen ist eben nicht gleichbedeutend mit Verstehen), ist nur noch absurd. Die Beziehung zu meinen Eltern war für mich mein Leben lang sehr wichtig, und es war für sie wie auch für mich selbstverständlich, daß wir Kontakt hatten. Wenn solche Beziehungen jetzt als „bürgerlich“ gelten, müßte ich ernsthaft anfangen, darüber nachzudenken, ob ich diesem Begriff nicht doch eine positive Bedeutung geben soll. Aber Spaß beiseite, die Gesellschaft hier zeichnet sich doch gerade dadurch aus, daß es kaum tiefergehende Beziehungen zwischen Menschen gibt. Es soll sie nicht geben, weil die staatliche Macht in der systematischen Vereinzelung (was immer gleichbedeutend ist mit der Zerstörung wichtiger menschlicher Wesensmerkmale) ein zentrales Moment ihrer Herrschaft sieht. Uns ist unsere „idyllische“ Eltern-Kind-Beziehung auch nicht gerade in den Schoß gefallen, im Gegenteil, es war für meine Eltern und auch für mich oft sehr anstrengend, bei allem Trennenden immer wieder das Verbindende zu suchen und zu finden – daß das bei meinem Lebensweg für sie oft nicht einfach war, kann sich jede/r leicht vorstellen. Daß diese Briefe jetzt gefunden wurden, ist einfach blöde; auch wenn ich mich von ihnen nur schwer trennen konnte, hätte ich sie nicht aufheben dürfen. Wolfgang hat sie nach Bad Kleinen mitgebracht, weil ich sie gerne mit ihm zusammen noch mal anschauen und dann wegwerfen wollte. Sie aufzuheben war auch einfach naiv – der Gedanke, sie könnten durch die Presse gezerrt werden, war mir nie gekommen. Und daß sie meiner siebzigjährigen Mutter aus strafrechtlicher Sicht nichts anhaben können, war mir klar.

Was eine Veröffentlichung dieser Briefe für sie bedeutet (von erniedrigender Bloßstellung, eben weil es sehr persönliche Dinge sind, die nur uns angehen, bis hin zu Problemen in ihrem sozialen Umfeld), das hatte ich nie überlegt, und deshalb ärgere ich mich im Moment auch sehr über mich.

Besprochene Kassetten hatten weder Wolfgang noch ich dabei (er hatte einige Musikkassetten, und ich hatte zwei Kassetten angeblich auch mit Musik von Klaus Steinmetz bekommen) – wenn jetzt andere auftauchen, dann sind die BKA, Marke Eigenbau.

Bei dem ach so elektrisierenden Brief, in dem „Projekt“, wenn dieses Wort im Zusammenhang mit der RAF auftaucht, natürlich nur Anschlag bedeuten kann, übernehmt Ihr (auch wenn's scheinbar anders daherkommt) einfach die BKA-Version bzw. wohl eher die der Politik. So paßt's gut zur Richtung und Stimmung, mit der der kommende Bundestagswahlkampf unter dem Thema „Innere Sicherheit“ eingeläutet worden ist. Wieso auch sollte jemand heute in diesem Land bei diesem Thema an Nazis, brennende Menschen aus anderen Ländern und erneute Judenverfolgung denken?

Habt Ihr eigentlich einmal einen Gedanken daran verwendet, wieso Euch (den Medien) unsere Briefe genau zu diesem Zeitpunkt hingeworfen wurden – schließlich hatten sie sie seit dem 27. Juni (nicht aus dem Schließfach, wir hatten sie dabei)?

Einige Tage vorher war der Zwischenbericht der Bundesregierung zur Polizeiaktion in Bad Kleinen veröffentlicht worden, und in den Tagen danach wurde breit in den verschiedensten Medien v. a. auch darüber berichtet, daß die eigentlich wichtigen Fragen in bezug auf die Erschießung von Wolfgang Grams darin nicht beantwortet werden und wohl auch nicht mehr beantwortet werden sollen. Mit der Veröffentlichung der Briefe, der Eltern- Marmeladen-Story war dieses Thema dann überall endlich wieder vom Tisch. Birgit Hogefeld