: Boris Jelzin bremst die Chefs der Regionen
■ Schnelle Einberufung des Föderationsrates abgelehnt / Weißes Haus vollständig abgeriegelt / Kremlführung will aber weiterhin keinen „Sturm aufs Parlament“
Moskau (AFP/taz) – Die im Weißen Haus ausharrenden Jelzin-Gegner sind am Dienstag vollständig von der Außenwelt abgeschnitten worden. Die Sicherheitstruppen ließen niemanden – selbst Journalisten nicht – in das Parlamentsgebäude hinein und sperrten es weiträumig mit Stacheldraht ab. Außerdem riefen sie die Demonstranten vor dem Parlament auf, das Gelände zu verlassen.
Die Nachrichtenagentur AP meldete, Polizeioffiziere hätten die Jelzin-Gegner über Megaphone aufgefordert, das Weiße Haus bis heute vormittag, 9 Uhr zu verlassen. Unklar blieb jedoch, ob nach Ablauf des Ultimatums das Parlamentsgebäude gestürmt werden soll. Zur Begründung für die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen hieß es, daß die selbsternannten „Verteidiger“ des Weißen Hauses es nach wie vor ablehnten, alle Waffen abzugeben. Der russische Innenminister Jerin erklärte, das Verhalten einiger „Elemente“ im Parlament werde zunehmend unberechenbarer. Das Parlament gebe Waffen aus, auch an Personen, die eindeutig „psychische Störungen“ zeigten.
Parlamentspräsident Chasbulatow rechnete dagegen noch für Dienstag mit einem Angriff der Sicherheitstruppen. Er warf Jelzin vor, das Weiße Haus in ein „geschlossenes Konzentrationslager“ zu verwandeln. Noch in der Nacht hatte er den ausharrenden Demonstranten mitgeteilt, daß die direkt dem russischen Präsidenten unterstehende Sondereinheit Alpha sich darauf vorbereite, „Präsident“ Ruzkoi zu „neutralisieren“. Allerdings räumte der betrunken wirkende Parlamentspräsident auch ein, daß sich die Lage „kompliziere“. Nach Ansicht Chasbulatows können die Jelzin-Gegner ihren Widerstand noch weitere sechs Wochen aufrechterhalten. Unklarheit herrscht über die Zahl der Personen, die sich noch im Parlamentsgebäude aufhalten. Während der Moskauer Bürgermeister Luschkow von rund 600 Jelzin- Gegnern spricht, liegen andere Zahlenangaben weit darunter.
Unterdessen verwies Jelzin- Sprecher Wjatscheslaw Kostikow die Regionen in die Schranken. Er schloß eine baldige Einberufung des Föderationsrates aus. Dafür bestehe „absolut keine Notwendigkeit“. Einige Regionenvertreter wollten den Föderationsrat nur „als Druckmittel“ ausnutzen, um die Zentralgewalt zu schwächen. Noch am Montag hatte es aus Regierungskreisen geheißen, der Föderationsrat solle so bald wie möglich einberufen werden.
Der vom Parlament zum Sicherheitsminister ernannte General Viktor Barannikow hat versichert, er bleibe im Parlamentsgebäude. Zuvor war gemeldet worden, Barannikow habe sich mit Jelzin solidarisch erklärt und sich geweigert, das Amt des Sicherheitsministers von den Abgeordneten anzunehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen