Hammoniale

Kaum ein zweites symphonisches Werk des sowjetischen Komponisten Dimitri Schostakowitsch hat für soviel Aufregung im Politbüro gesorgt, wie die 13. Sinfonie Babi Yar. Denn die textliche Inspiration, das Gedicht „Babij Jar“ von Jewgenij Jewtuschenko, prangerte den latenten Antisemitismus in der UdSSR in unmißverständlicher Form an. Die deutschen Erstaufführung bildet das Abschlußkonzert der Hammoniale (heute, 20 Uhr, im Michel). Jutta Hoffmann und Will Quadflieg lesen zudem Gedichte von Jewtuschenko und Anna Achmatova. Sven Ahnert sprach mit dem dirigierenden Komponistensohn Maxim Schostakowitsch.

1962 war die Uraufführung von Babi Yar. Können Sie sich noch an die Premiere in Moskau erinnern?

Wir hatten natürlich alle Furcht vor einem Aufführungsverbot. Die 13. Sinfonie ist ein starkes, kompromißloses Werk, das den Mächtigen nicht gefiel. Wie ein Pfeil traf Jewtuschenkos Gedicht über Antisemitismus und Totalitarismus die Mächtigen, die nun wieder einen neuen Grund hatten, Repressionen gegen meinen Vater auszuüben. Der Solist der Uraufführung wurde dann auch plötzlich krank. Glücklicherweise gab es einen exzellenten Ersatzmann. Selbst Jahre nach der Uraufführung war es immer noch sehr schwierig, dieses Werk in der Sowjetunion aufzuführen. Viele Konzertdirektoren, Dirigenten und Ensembles hatten Angst vor einem Berufsverbot.

Welche Einflüsse aus der russischen Musiktradition weist die Sinfonie auf?

Die Musik von Modest Mussorgski ist meinem Vater sehr nahe, emotional und in der Art der Stimmführung, das kann man in der 13. Sinfonie deutlich hören. Mussorgski ist so etwas wie ein musikalischer Verwandter.

Wie wirkt Ihres Vaters Persönlichkeit auf Sie, wenn Sie sein Stück einstudieren?

Sein ganzes Leben war ein Kommentar zu seinen Sinfonien. Ich höre seine Stimme, empfinde seine starke Persönlichkeit, wenn ich dirigiere. Das hilft mir sehr.

Gibt es einen roten Faden?

Gerade in den Sinfonien 11, 12 und eben in der 13. Sionfonie wird russische Geschichte geschrieben. Aber nicht nur historische Fakten, sondern die Tragödie des menschlichen Daseins, die sich in der Abfolge von Kriegen und Revolutionen abspielte. Die 7. Sinfonie etwa beschreibt nicht nur die Katastrophe des 2. Weltkrieges, es illustriert auch persönliche Katastrophen. Insofern sind alle Sinfonien meines Vaters auch Menschen gewidmet, die sich als Künstler Terror und Dummheit wiedersetzen