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Rachsucht! Blutrunst! Schlechtigkeit!

■ Eine überaus mörderische Pracht: „Die berühmte Tragödie des reichen Juden von Malta“, vollführt vom TAB im Schlachthof

So wonnig ist schon lang nicht mehr herumgemetzelt worden im Theater! Ein jeder kommt bei Marlowe auf dem kürzesten Wege zu Tode; niemand findet Gnade vor den Augen des Dramatikers, nicht einmal die Gerechtigkeit, denn am Ende überlebt nur der grausligste Sauhammel von allen. „Die berühmte Tragödie des reichen Juden von Malta“, verfaßt von dem Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe, war denn auch eines der erfolgreichsten Theaterstücke im frommen elisabethanischen Zeitalter.

Das „Theater aus Bremen“ bzw. TAB hat es jetzt für seine Zwecke ausgegraben, neu übersetzt und bearbeitet - anfänglich ein wenig in der Sorge, ob es denn angehe, ausgerechnet den reichen Juden Barabas als Ausbund an Schlechtigkeit über die Bühne rumoren zu lassen. Die Premiere am Mittwoch abend im Schlachthof zeigte: Es geht, schon weil die andern, die Gegenspieler nicht besser sind. Es geht aber vor allem, weil die drei wackren Schauspieler vom TAB all das Holperdiepolter des allgemeinen Untergangs ins schon maßlos Komische gleich wieder emporreißen. Dem Publikum muß immerzu schwindlig werden.

Der Türkenheerführer Calymath knutet den Christengouverneur Ferneze; der wieder bringt, den Türken zu saturieren, den reichen Juden Barabas um seinen ganzen Reichtum; weshalb wiederum diesen eine ganz lästerliche Rachsucht erfaßt. Fortan ist keine Ruhe mehr; und am Ende nimmt der Jude die halbe Insel Malta samt Muslimen und Christen und seiner eigenen Tochter höllwärts mit in den Untergang.

Für uns ist das ein enormes Vergnügen: Wir sehen allesamt in konsequenter Raserei auf ihr Ende zustürzen, ja wir sehen sie quasi schon im freien Fall; aber sie wissen es nicht und intrigieren und grimassieren kreuz und quer, sie meucheln, tricksen, bangen und vergiften, daß Gott erbarm.

Wir nicht, denn es ist gar zu schön.

Das machen die drei Schauspieler: Rudolf Höhn als ein köstlich abgefeimter Barabas; Anke Engelsmann, welche monumental als Gouverneur und herzzerreißend als Tochter des Barabas, schatzlüstern als Mönch und lasterhold als Kurtisane umherwirbelt; und vollends der Peter Kaempfe, der in zehn Rollen zugleich seine Stämmigkeit aufs Bestrickendste betätigt.

Das TAB, welches alle Rollen seiner Stücke aus Gründen der fröhlichen Armut auf drei Spieler verteilen muß, hat aus der Not wieder jede Menge Tugenden gezaubert: Die Trinität, wie sie vor unsern Augen durch ihre zahllosen Verwandlungen kreiselt, kriegt davon etwas extra Mimenmagisches, zumal man in all der Rasanz schauen muß, daß man hinterherkommt; und nicht zuletzt zwingt das Hin und Her zu krasser Genauigkeit in den einzelnen Rollen. Drastische Typen hat sich also das TAB geschnitzt, aber von rührender Detailtreue bis zum klitzekleinsten Fingertrillern.

So farbenfroh lieben wir die Schlechtigkeit! Daß sonst noch was dem wilden Stück zu entnehmen sei, sagen wir in punkto Religionskritik oder Menschendingen, ist wohl eher ein frommer Wunsch des TAB. Marlowe läßt schon allerhand vorkommen, aber doch nur, daß es umso malerischer der Teufel holt.

Einzig die Konstellation der Kräfte auf dem Inselchen ist da von Interesse, und welche Macht den Ausgegrenzten eignet: Wo innen alles einander auf den Tod belauert, kann es außen dem Juden im Verzweiflungsfall egal sein. Er dreht hier ein wenig und dort, und schon gehen dem Haß die Schleusen auf und Malta unter.

Uns aber freut hartnäckig, wie komisch das ist. So herzlich kann einem die ganze Aktualität ja auch sehr selten egal sein. Gebt uns nur Niedertracht! Blutrunst! Und Tücke erster Güte! Dann soll's schon recht gewesen sein. Manfred Dworschak

nächste Vorstellungen: heute, morgen, übermorgen je um 19.30 Uhr im Schlachthof

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