: Der Atom-Ausstieg im Endlager
■ AKWs sollen länger laufen, wenn Gorleben gestrichen und die Energiesteuer eingeführt wird
Berlin/Hannover (taz) – Die Lobby der Atomindustrie darf aufatmen. Die Kumpel an Rhein und Oder auch. Wenn sich am 27. Oktober die Runde der Minister und Ministerpräsidenten wieder zum Gespräch über einen möglichen Energiekonsens trifft, wird nicht mehr über den Ausstieg aus der Atomenergie gesprochen. Gerhard Schröder, Initiator dieser Gespräche, bietet einen Deal an. Während die SPD-Fraktion noch davon spricht, sie lasse sich nicht erpressen, hat Schröder schon gehandelt: Die deutschen Atomkraftwerke dürfen am Netz bleiben, wenn die Bundesregierung dafür den Endlagerstandort Gorleben aufgibt und bereit ist, die deutsche Kohle im Rahmen einer Energiesteuer weiterhin zu subventionieren.
Näheres können die Minister Rexrodt und Töpfer in einem Papier nachlesen, das Schröders Energieberater Werner Müller und Walter Hohlefelder, Fachreferent für Atomkraftwerke in Töpfers Umweltministerium, zusammen erarbeit haben. Das Papier liegt der taz vor. Ein Kompromiß, der kaum einen Wunsch der Regierung unerfüllt läßt und auch das Landesinteresse des Ministerpräsidenten wahrt: Fünf Jahre lang sollen die Bauarbeiten am Endlager Gorleben ruhen. Ohnehin glaubt kein Experte an die Eignung des dortigen Salzstockes, und als Gegenleistung verspricht Schröder der Atomwirtschaft nun auch noch juristische Entlastung von ihren Müllsorgen: Anders als im Atomgesetz bisher festgeschrieben, soll in Zukunft auch ein bloßes Zwischenlager für hochaktive Abfälle als Entsorgungsnachweis gelten. Für schwach- und mittelaktive Abfälle könne, so das Papier weiter, der Schacht Konrad auch als Endlager in Frage kommen. Stillegungen von AKWs sind nur noch für einige der ältesten Reaktoren (Biblis A, Stade und Philippsburg) im Gespräch, für alle anderen wischt das Papier die Forderung politisch begrenzter Laufzeiten vom Tisch. Anders als noch im Brief des verstorbenen Veba-Chefs Piltz angeregt, wollen Müller und Hohlefelder keine Stillegungsfristen mehr definieren. Und auch die Option auf den Bau einer neuen Reaktorgeneration wird nicht mehr grundsätzlich abgelehnt, dem tatsächlichen Bau eines solchen Prototyps müsse allerdings eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages zustimmen.
Diese Hürde dürfte kaum noch schrecken. Als Gegenleistung verlangt das Papier des Beraterduos nur, was Christ- und Sozialdemokraten seit langem beschwören: staatliche Förderung der deutschen Kohle. Die jährlich fälligen 8,5 Milliarden Mark sollen nach Müllers und Hohlefelders Vorstellungen jedoch nicht mehr ausschließlich in die Zechen an der Ruhr und die Braunkohlehalden der Lausitz fließen – und sie sollen ab 1995 als „allgemeine Energiesteuer“ eingetrieben werden.
Vor allem diese Umwandlung des Kohlepfennigs in eine Steuer dürfte auch unter einer sozialdemokratischen Regierung nur geringe Realisierungschancen haben. Nicht nur die Atomwirtschaft, sondern die gesamte deutsche Industrie kündigt seit langem nachhaltigen Widerstand gegen jede Energiesteuer an. Bislang hatte die Bundesregierung stets versichert, sie werde eine Energiesteuer nur im europäischen Rahmen einführen.
Realistischer nimmt sich dagegen Müllers und Hohlefelders Plan aus, einen Teil der Kohlesubvention umzulenken und für Energiesparprojekte und die Entwicklung regenerierbarer Energiequellen auszugeben. Das Papier schlägt vor, 500 Millionen Mark im Jahr 1996 für diese Zwecke abzuzuweigen, der Anteil solle dann jährlich um 250 Millionen Mark wachsen und im Jahr 2005 schließlich 2,75 Milliarden erreichen – das sind 16,5 Prozent der gesamten Fördersumme. nh/jv
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