: Rohrrisse: Zwangspause für AKW Krümmel
■ Nach den Schadensmeldungen: Müssen sämtliche Siedewasserreaktoren vom Netz?
Es ist amtlich: Auch im Atomreaktor Krümmel gibt es mehrere Risse in den Rohrleitungen aus Austenit-Stahl. Das teilten jetzt das Schleswig-Holsteinische Energieministerium und die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) übereinstimmend mit. Energieminister Möller fordert ein „überzeugendes Reparaturkonzept“ von den HEW, die zusammen mit PreussenElektra den Reaktor betreiben. Bis dieses vorliegt und in die Tat umgesetzt ist, bleibt der Reaktor vom Netz.
Nachdem in den Austenit-Leitungen im Kernkraftwerk Brunsbüttel seit Anfang des Jahres über 200 Risse entdeckt wurden, hatten die HEW eingewilligt, auch in Krümmel 252 Schweißnähte des Rohrleitungssystems prüfen zu lassen. Die mit der Untersuchung beauftragte Siemens KWU stellte dabei einen „Doppelriß“ auf beiden Seiten einer Schweißnaht eines Kernflutstutzens des Reaktordruckbehälters und einen weiteren Riß im Bereich der Schweißnaht des Reaktorwasserreinigungssystems fest.
Daneben wurden erstmals an den „ferritischen“ (eisenhaltigen) Speisewasserleitungen ein Rohrriß, und 20 sogenannte „Befunde“ entdeckt, die auf weitere Risse hindeuten. Die Untersuchungen sowohl dieser 20 Befunde wie auch der Risse im Austenit-Stahl sind noch nicht abgeschlossen. Erst wenn die endgültigen Analyse-Ergebnisse vorliegen, soll es zu Gesprächen zwischen der HEW und dem Kieler Energieministerium über die Zukunft des Reaktors kommen.
Schon vorher will sich Claus Möller mit seinem Amtskollegen Klaus Töpfer über die Konsequenzen aus den Riß-Befunden unterhalten. Da vergleichbare Risse auch in den Kernkraftwerken Isar 1 und Phillipsburg entdeckt wurden, geht Kiel davon aus, daß es sich nicht um Einzelschäden, sondern um betriebsbedingte „Probleme bei Siedewasserreaktoren“ handelt.
Mögliche Konsequenz: Sämtliche Reaktoren dieses Typs müßten vom Netz und mit Millionenaufwand repariert werden. Die Umweltschutzorganisation Robin Wood und der Verein „Eltern für unbelastete Nahrung“ forderten gestern bereits aufgrund der Riß-Befunde die Sofortabschaltung aller Siedewasserreaktoren.
Für die Stromerzeuger ein teures Vergnügen: So geben die HEW seit der Stillegung von Krümmel und Brunsbüttel nach eigenen Angaben täglich eine halbe Million Mark für den Ankauf von Ersatzstrom aus. Ein Ende ist dabei nicht in Sicht. Obwohl Brunsbüttel bereits seit August 1992 außer Betrieb ist, haben sich Kiel und die HEW noch nicht über die Details eines Reparaturkonzepts einigen können.
Eugen Prinz, der Sprecher der Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch, kündigte gestern gegenüber der taz an, gegen die AKW-Betreiber und die Kieler Aufsichtsbehörde Strafantrag zu stellen. Bereits 1989 hätte der Mannesmann-Konzern, der die Austenit-Rohre herstellt, gewarnt, daß diese für den Einsatz in Atomkraftwerken „wenig geeignet“ seien. Obwohl das Atomgesetz vorschreibe, die Reaktoren „auf den neuesten Stand der Technik“ zu bringen, hätten Betreiber und Kontrolleure eine „schwere Umweltgefährdung“ vorsätzlich in Kauf genommen. Marco Carini
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen