Masse bauen für die Masse — Gewoba-Geschichte

■ Chronik einer Bremer Baugesellschaft: Von den proletarischen Anfängen bis zur Krise der Neuen Heimat / Von Klaus Wolschner

Über 500 Din-A-4-Seiten ist es stark, kiloschwer, unhandlich, schon aus Formatgründen als Bettlektüre nicht geeignet und 98 Mark teuer — in jahrelanger Arbeit hat Hans-Joachim Wallenhorst im Auftrage der Gewoba ein Buch über die heutige „Gesellschaft für Wohnen und Bauen“ zusammengetragen, eine Chronik von 1924 bis 1992.

Wer selbst in Häusern der Gewoba wohnt, findet da „seine“ Baugeschichte. Aber auch, wer nicht direkt solche persönliche Motive hat, findet in dem Klotz von Buch Geschichten über Geschichten, wenn er sich hineinvertieft. Gewoba-Geschichte ist Baugeschichte ist Stadtgeschichte ist Sozialgeschichte. Einzelne Geschichten sollen hier nacherzählt werden.

Die Lüge vom Ursprung

des Namens „Gewoba“

Manchmal muß man in die Fußnoten hinabsteigen, um an die Wahrheit heranzukommen. „Gewoba“ sollte die aus dem Bestand der Neuen Heimat 1987 herausgelöste Bremer Wohnungsbaufirma heißen, hatte der Finanzsenator Claus Grobecker damals erklärt, „weil das die alte Gesellschaft ist aus den 20er Jahren“, eine Gründung der Gewerkschaften. Falsch. Grobecker, der in einem Haus dieser gewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaft geboren ist, muß es besser gewußt haben: Erst als die Deutsche Arbeitsfront der Nazis 1935 die Gesellschaft übernommen hatte, nannte sie sich „Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft m.b.H.“, abgekürzt Gewoba.

Sozialistische Kritik

am Bremer Haus (1906)

Dennoch hatte Grobecker natürlich Recht, mit dem Namen an die alte gewerkschaftliche Tradition anzuknüpfen. Denn am Anfang der „Gemeinnützigen Wohnungsbaugemeinschaft“ (1924) stand die Unzufriedenheit mit dem in Bremen typischen Einfamilienhaus. Während Häuser mit mehr als 5 Wohnungen 1927 in deutschen Großstädten über 40 Prozent betrug, machten sie in Bremen gerade einmal 3 Prozent aus. Die Arbeiterbewegung hatte diesen Baustiel immer schon aufs Korn genommen — und zwar aus einem höchst handfesten und schlichten Grund: Diese Eigenheime waren für Arbeiter finanziell unerschwinglich. Aber für arme Arbeiterfamilien baute niemand billigere Kleinwohnungen.

Die revolutionäre „Bremer Bürgerzeitung“ der SPD überhöhte das schon 1906 in einem Artikel klassenkämpferisch: „Der Besitz eines eigenen Häuschens ist nämlich ein die Kampfeslust und Kampfesfähigkeit der Arbeiter außerordentlich hemmender Faktor.“ Wenn Fabrikanten für ihre Arbeiter sorgen wollten, habe das einen klaren Hintergedanken: „Wie der Hausbesitz die Arbeiter unfähig für die Revolution macht, das wissen auch jene Herren Fabriknten, die da Häuser bauen, die unter bestimmten Kautelen als eigen erworben werden können.“

Als besonders konterrevoutionär erkannte die Partei die Unsitte der Kleingärten, in denen Arbeiter „Ruhestunden mit Feld. und Gartenbau“ verbringen sollten. Stattdessen predigte die SPD: „Los von Grund und Boden muß der Arbeiter, bevor er revolutionär denken und handeln kann.“

Typisch, daß das SPD-Blatt 1906 nicht behauptete, daß der Arbeiter weg will von Grund und Boden — er muß, sollte die revolutionäre Strategie aufgehen.

1924: Der erste Gewerk-

schaftsblock entsteht

In diesem Sinne formierte sich Anfang der 20er Jahre eine Gewerkschaftliche Wohnungsbaugemeinschaft. Ihr erstes Bauvorhaben war eine Blockbebauung in Gröpelingen zwischen Altenescher Straße und Pastorenweg. Mit Erkern, Stuckumrahmungen und Fensterreliefs lehnte sich der Häuserblock zumindest äußerlich noch stark an das kritisierte „Bremer Haus“ an, einzelne Häuser des Blocks sind auch gegeneinander abgesetz. Aber es waren große „Blocks“ mit großen Innenhöfen, die schon aus Platzgründen auf der grünen Wiede vorgschoben vor die erreichte Siedlungsgrenze der Stadt gesetzt werden mußten. Die Architekten der Gewerkschaftsbewegung knüpften große Erwartungen an ihre Bauwerke: „Schaffen wir, besonders in Großstädten, Häuserblocks, die im Winter von einer Zentralheizung oder durch elektrischen Betrieb erwärmt werden, die nicht nur kaltes, Laufendes Wasser, sondern ständig warmes Wasser haben.“

Im Programm der Architekten war die Befreiung der Frau von unnötiger Hausarbeit: Geplant waren „Häuserblocks, die eine gemeinsame Zentralküche besitzen, von der das Essen für die, die es wünschen, durch Aufzüge in die einzelnen Wohnungen geleitet wird. Solchen Häusern sind Krippen anzugliedern, in denen die Säuglinge tagsüber allen Anforderungen der Neuzeit entsprechend gepflegt werden, ferner Kinderhorte, Spiel- und Tummelplätze, die den größeren Kindern Gelegenheit geben, sich zu tummeln, ohne den vielen Gefahren der Straße ausgesetzt zu sein.“ (Bremer Volkszeitung, 1924)

Da dies offenbar nicht der spontane Wunschtraum der Arbeiterfrauen war, mußte das SPD-Blatt gleich einschränkend versichern: „Frauen, die vom Einzelherd und allem, was damit zusammenhängt“, werden nicht zu ihrem Glück gezwungen: „Sie sollen in einer Weise, nur mit tunlichsten Erleichterungen, weiterschaffen. Jeder soll von den praktischen Neuerungen nur das nehmen, was ihm zusagt. Nichts soll verallgemeinert werden.“

Als die ersten beiden Häuser bezogen wurden, hat das Bauprojekt schnell seinen Namen weg: „Gewerkschaftsblock“. Die Mieter sind ausnahmslos aktive Sozialdemokraten und Gewerkschaftler, arbeiten im Hafen und bei der AG Weser. Unter ihnen: der Klempner Grobecker, Vater des Druckers und Finanzsenators Claus Grobecker.

In einen späteren Bauabschnitt wird Vater Boljahn einziehen, da wohnte auch der SPD- Parteisekretär Willi Schramm. In den Wohnblocks waren Läden der gewerkschaftlichen Konsumgenossenschaft eingeplant. Ein Hauswart sorgte für Ordnung, in den Innenhöfen war den Mietern ausdrücklich untersagt, „irgendwelche selbständigen Maßnahmen hieran vorzunehmen“. Der Autor der Gewoba-Studie, Hans- Joachim Wallenhorst, schreibt: „Es ist heute wohl kaum mehr vorstellbar, in welchem Ausmaß die Organisationen der Arbeiterbewegung das Leben der damaligen Mieter prägten.“ Mit 25 Mark Miete zahlte der Arbeiter immerhin ein Viertel seines Monatslohns für die Miete.

Masse bauen für die Masse

In dem zweiten Bauvorhaben der Gewerkschaftlichen Wohnungsbaugemeinschaft kommt der rationale Baustil in voller Klarheit zum Tragen: 1928 beginnen die Planungen für einen Wohnblock, der vor der Neustadt in südlicher Richtung gebaut werden soll — an beiden Seiten der heutigen Friedrich-Ebert-Straße. Die Blocks bilden das Tor nach Bremen hinein für alle, die vom Süden her kommen, in der Fluchtlinie der Hausblocks erkennt man die Türme des Bremer Domes.

Der Arbeiter, so theoretisierte der Architekt Bruno Traut damals, „schielt in seiner Masse nach den Liebichkeiten und Gewohnheiten des gesättigten Bürgers und beeilt sich, seine Gewohnheiten anzunehmen, ohne es zu können. Sein Gebaren und seine Wohnung werden dadurch die eines Kleinbürgers. Das ist aber nicht sein eigenes Wesen.“

Das heißt: Durch die Architektur sollte der Arbeiter zu seinem Wesen finden. Kein „Firlefanz“, handfest und derb ist der Arbeiter, bestimmt von der „Feindschaft gegen jede Sentimentalität ... und es leuchtet ein, daß hier eine natürliche Parallele zwischen dem Willen der modernen Architekten und dem Geist einer neuen Volksbewegung voeliegt.“

Der Architekt Manfred Wagner: „Warum lassen wir die Batallione der immer gleichen Wohnungen nicht aufmarschieren? Sollen wir uns dieser Gleichheit schämen? Wollen wir das Beglückende der sozialen Verbundenheit, dieser eisernen Schicksalsgemeinschaft nicht empfinden? So, wie die Industrie danach strebt, den Einzelbedarf zum Massenbedarf zusammenzufassen, so haben auch wir neue Gesetze der Gestaltung nach dem Rhythmus der Massen zu gestalten. Diese Masse, die wir heute in der Gestalt von Wohnhäusern zu formen haben, will ganz entkleidet sein von all dem aufgespeicherten leblosen dekorativen Reichtum.“

So sehen diese Blöcke, die noch heute an der Neuenlander Straße den Eingang zur Stadt bilden, auch aus: Hingeklotzt, machtvoll, leblos. Krönung dieser Architektur und Provokation des Bremer Baustils: das Flachdach. Bürgervereine gründeten sich, um die respektlosen Bauten zu verhindern — vergeblich. Die Klötze demonstrieren die Macht der Gewerkschaften und die Respektlosigkeit gegenüber den Traditionen, von denen auch die Arbeiter losgerissen werden sollen.