piwik no script img

„Warum leben wir nicht unter anderen Menschen?“

■ 200 Männer wohnen auf dem Asyl-Schiff: Duschen, warmes Essen Topfpflanzen — alles da? Mit ihrem Flüchtlingstrauma bleiben viele allein

Albaner auf dem Poller. Bänke gibt es nicht vor dem Asylbewerber-Schiff im Gröpelinger Kohlehafen

Auf der Nordstraße am Bremer Hafen holpern die Laster durch die Schlaglöcher. Vorbei an Werkstätten, Lagerhallen, gigantischen Schornsteinen und Kränen. An den Pieren der Industriehäfen liegen große rostgefleckte Pötte. Inmitten dieser Szenerie leben 200 Menschen.

Gegenüber dem Stadtwerke- Schornstein im Kohlehafen liegt die schwimmende Flüchtlingsunterkunft „Embrica Marcel“. Das Schiff sieht nicht aus wie ein Schiff: Es hat keine Reeling, keinen Bug, keinen Schornstein.

hier das foto

mit den

sitzenden Männern

Nur drei Stockwerke schwimmender Container-Bau. Das „Schiff“ hat noch nicht mal einen Motor. Aber einen Kapitän: Herbert Herweck. Der frühere Binnenschiffer umschifft schon seit langem nicht mehr die Loreley. Über sieben Jahre ist er Herbergsvater auf dem Wasser, zuletzt für Flüchtlinge in Köln. Seine Familie wohnt mit ihm auf dem Schiff.

Essenszeit, zwölf Uhr mittags. Es gibt Hähnchen und Pommes mit einer braunen Bratensoße. Der Kapitän verteilt neben der Anrichte Brot: Er weiß, daß in vielen Ländern das Brot zum Essen gehört. Ein junger Mann stochert im Essen herum. In seinem Heimatland ist ihm die Gallenblase herausoperiert worden. Das Essen sei für ihn zu fett, meint er.

Der Koch setzt kein Schweinefleisch auf den Speiseplan. Jeden Tag wird Salat gereicht. Nur mit dem Gemüse treffen sie meistens nicht den Geschmack der Flüchtlinge: „Das einzige, was gegessen wird, ist Leipziger Allerlei“, berichtet der Kapitän schmunzelnd. Ein Rumäne findet das Essen an

sich nicht schlecht, vermißt jedoch Früchte.

Nach dem Essen gehen einige Flüchtlinge in den Aufenthaltsraum: nackte Tische, Stühle, Wände, an den Säulen sind kleine Efeu-Blumentöpfe befestigt. Die zwei Fernseher in den Ecken des Raumes laufen den ganzen Tag.

Etwa 200 Männer leben auf dem Schiff: Jugoslawen, Rumänen, Kurden, Russen, Schwarzafrikaner, Srilankesen, Chinesen, Libanesen und Polen. „Nein, ich war früher noch nie in Deutschland oder Europa“, radebricht ein Schwarzafrikaner auf Deutsch. Zweimal in der Woche hat er Deutschunterricht im Aufenthaltsraum. Wenn er wollte, könnte er außerdem zwei mal die Woche in einer kleinen Gruppe joggen. In Oslebshausen dürfen die Flüchtlinge den Fußballplatz des Sportvereins nutzen. „Wir hätten hier gerne einen Kraftraum. Die ganzen aufgestauten Gefühle müssen raus, wir müssen was tun“, sagt ein Flüchtling. Psychologen arbeiten hier nicht. „Ich lebe nicht so gern hier. Aber ich mußte weg. Meine Mutter, mein

Vater...“, er deutet mit dem Zeigefinger einen Schnitt quer über den Hals.

Eine Rückzugsmöglichkeit gibt es auf dem Zimmer nur dann, wenn die anderen drei Zimmergenossen unterwegs sind. Dann lege er sich ins Bett und ruht sich aus von dem ganzen Lärm, berichtet ein junger Rumäne. Zwei Stockbetten, ein Tisch, vier Stühle. An der Wand ein Bravo-Miniposter von Muskelrambo mit Messer. Vor dem Fenster eine schwarze Wand: ein Ersatzschleusentor. „Am Anfang ist mir schlecht geworden, als ich immer nur das Wasser aus den Fenstern sah, aber ich habe mich daran gewöhnt“, sagt er. Jedes Zimmer hat ein kleines Bad mit Dusche.

Im Raum mit den Waschmaschinen herrscht reger Betrieb. An drei Tagen kann umsonst gewaschen werden. Frische Wäsche und regelmäßiges Essen ist für die Erhaltung der Menschenwürde wichtig, sagt einer der Sozialarbeiter. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ steht auf einem Bild am Eingang.

Aufs Schiff kommt man nur mit dem entsprechenden Code- Schlüssel, durch den die Metallschranke entriegelt wird. „Die Schleuse dient der Sicherheit, damit keine ungebetenen Gäste reinkommen“, sagt der Pförtner. Seine Pförtnerloge sieht wie eine Einsatzzentrale aus: Mehrere Bildschirme, Telefone und blinkende Lämpchen. „Bis jetzt habe ich keine Last mit denen gehabt. Es wird immer viel erzählt, aber hier ist es an sich ganz ruhig“, sagt der grau uniformierte Sicherheitsbeamte. „Ich habe mit einigen Leuten auch persönlich Kontakt und erfahre zum Beispiel viel über ihre Länder. Einigen geht es auch ziemlich schlecht, ehemaligen Kämpfern in Kriegsgebieten“, sagt der Pförtner zwischen Aushändigen der Post und dem Entgegennehmen eines Telefongesprächs.

Tagsüber sind die meisten Flüchtlinge nicht auf dem Schiff. Viele besuchen Freunde oder Freundinnen. Besucht zu werden ist dagegen eine komplizierte Angelegenheit. Beim Pförtner werden Name und Adresse in einem Gästebuch notiert und der Ausweis kassiert. Bis 20.30 Uhr darf Besuch empfangen werden. Nach „Prüfung des Einzelfalles“ wird der Besuch zugelassen. Einige Einzelfälle kamen schlecht weg. „Ich habe eine Freundin, aber sie darf mich hier nicht besuchen“, erzählt ein Rumäne. Sein Kumpel lacht: „Ich will auch mal Liebe machen mit meiner Freundin, aber das geht hier nicht.“

Auf dem Schiff wohnen auf Anordnung der Sozialbehörde nur Männer. Man wolle es Familien nicht zumuten, auf einem Schiff zu leben, hieß es. „Warum leben wir nicht unter anderen Menschen?“ fragen sich einige Flüchtlinge. Vivianne Agena

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen