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Will jemand Ziegenkäse aus Burundi?

Auswege aus der Krise: Im inneren Hochland von Zentralafrika, auf den Hügeln von Burundi, wollen die Menschen die ökologischen Probleme und die Vergangenheit gleichzeitig überwinden  ■ Von Volker Janssen

Die steigende Sonne löst den Morgendunst auf, der sich noch auf dem Talgrund hält, und entschleiert so die verstreuten Hütten – überraschend viele. Auch an den Hängen, bis auf die Hügelkuppen hinauf, blinken nun überall Wellblechdächer im Frühlicht. Wie grün Berg und Tal sind! Felder, Weiden, Haine, Baum- und Buschstreifen lassen kaum ein Stück Boden leer. Sanft dehnen sich die Kuppen, nichts ist schroff.

In Beschreibungen dieser zentralafrikanischen Gebirgslandschaft, der großen kontinentalen Wasserscheide zwischen Nil und Zaire, ist an diesem Punkt meist der Begriff „Paradies“ fällig, aber nur, um ihn gleich darauf mit dem Hinweis auf die vielen, angeblich zu vielen hier lebenden Menschen als verfehlt zu entlarven. Im Durchschnitt Burundis sind es 190 Einwohner auf dem Quadratkilometer, das Zwillingsland Ruanda geht auf die 300 zu, und hier, im Norden Burundis, sind es gut 340. – Etwa zwanzig von ihnen, Männer und Frauen, haben sich an diesem Morgen auf einem Hügel versammelt. Sie sind Mitglieder einer Züchtervereinigung. Um Ziegen geht es. Nicht ganz freiwillig, eher notgedrungen.

Jeder Familienhof in dieser dichtbesiedelten Region hat durchschnittlich etwa 0,6 Hektar Anbaufläche zur Verfügung, also etwa die Größe eines Fußballplatzes. Das ist für eine zwölfköpfige Familie schon unter guten Umständen sehr wenig; hier sind sie das Überlebensminimum. Auch ein Beinahe-Paradies mit üppig regnendem Himmel hilft nicht gegen die allzeit drohende Not.

Der Regen kann sogar dazu beitragen: Wenn die Bauern nicht aufpassen, wäscht es ihnen den Boden von den Hängen weg. Der noch verbleibende verliert dann seine Fruchtbarkeit, weil er zu knapp ist, um noch der Erholung gewährenden Brache überlassen zu werden. Ausreichend gedüngt wird er auch nicht. Also ernten die Bauern weniger Mais, Sorghum, Bohnen, Kartoffeln. Und weniger Kaffee. Das ist ihre einzige Geldquelle, ihre einzige Vermarktungsfrucht. In den letzten Jahren fiel, weil der unsichtbare Weltmarkt es so lenkte, sein Preis. Und die Bauern verarmten weiter.

Sie kämpfen dagegen an. Gegen die Bodenerosion auf den abschüssigen, kleinen Feldern. Mit einer dichten, möglichst ganzjährigen Pflanzendecke, mit Buschstreifen quer zum Hang, mit kleinen Terrassen, um die wegrutschende Erde aufzuhalten. Für die Fruchtbarkeit: Mit Mischkulturen, mit Kompost und Tierdünger. Sogar die Weltbank, die früher bäuerliches Wissen wenig beachtete, erkennt an, daß Burundis Bauern durch flexible Anpassung ihrer Betriebssysteme es geschafft haben, das Bevölkerungswachstum der Nahrungsproduktion nicht davonlaufen zu lassen.

Aber lange werden sie es nicht mehr schaffen können. Deshalb wurden die Ziegen ins Spiel gebracht – das heißt, sie sind schon lange drin, weitgehend unbeachtet. Ihren „Trainingsstand“, ihre Leistungsfähigkeit verbessert man durch Züchtung. Die Bauern Burundis waren aber bisher nur Ziegenhalter, sie hielten ihre Ziegen als „lebende Sparkasse“, die in Notfällen zu Geld gemacht werden konnte oder zu besonderen Anlässen, zwei- oder dreimal im Jahr, einen Festschmaus hergab. Gezüchtet wurde früher nicht. Die Bauern sind an erster Stelle Ackerbauern, und wenn schon Vieh, dann richtiges, also Rinder, und davon möglichst viel.

Aber das zentralafrikanische Hochland erträgt längst keine großen Rinderherden mehr, die dem einzelnen Bauern zur Verfügung stehende Fläche schrumpft und damit auch die Weide – aber wo ein Rind nicht satt wird, kann es noch für eine Ziege reichen. Und so bringt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hier Exemplare einer deutschen Ziegenrasse nach Burundi, um der einheimischen im Wortsinn auf die Sprünge zu helfen und leistungsstärkere, also mehr Milch und Fleisch produzierende Nachkommen zu zeugen. – Ziegenzucht muß mit enormem Aufwand vermittelt und organisiert werden. Das Züchten will gelernt sein, eine neue Einstellung zu den Ziegen auch: Die besten Tiere werden nicht mehr zum Verkauf ausgesucht, sondern gezielt zur Zucht eingesetzt. Aber auch Mitarbeiter in Behörden hängen noch sehr am Rind, die Einsicht hat es schwer gegen die Tradition.

Hoffnung wird in jene Züchtervereinigungen gesetzt, von denen eine hier auf dem Hügel versammelt ist. Der kostbare exotische Bock ist Eigentum der Gruppe. An Medikamente kommt die Gruppe leichter heran als der einzelne. Nebenher haben die Individualisten der Hänge Vorteile der Zusammenarbeit entdeckt, bauen also auf gemeinsamen Feldern Mais und Kartoffeln an, verkaufen die Ernten und legen die Einnahmen auf Gruppenkonten an.

Sorgfältig werden die Kontenbücher geführt, kein einzelner soll sich auf Kosten der Gruppe bereichern. Andererseits kann jedes Mitglied bei Notfällen von der Gruppe einen Kredit bekommen – zinsfrei. Wenn die Gruppe genug Geld hat, sollen ein großer Ziegenstall gebaut und mit dem anfallenden Mist die Äcker gedüngt werden.

Eine inzwischen beinahe „klassische“ Selbsthilfegruppe, wie sie in Afrika und weiten Teilen der Dritten Welt Mode ist: Wo leistungsfähige Lokalverwaltungen fehlen, kommt kollektive Selbsthilfe der Überlebensnotwendigkeit nahe. Den Ausbruch aus der Misere bringt hingegen auch sie nicht zustande. Hier, in Burundi, einem der ärmsten Länder der Welt, kämen auch die Ziegen nicht gegen die Armut an, sagen die Halter; auch die verbesserten nicht, sagen die Züchter. Die Bodenfläche läßt sich eben nicht vergrößern. Gleich neben dem Versammlungsort wachsen Kaffeesträucher – wer weiß, ob nicht deren nächste Ernte wie so oft schon verpfändet ist und dem verschuldeten Bauern der Verlust seines Landes droht?

Eine kleine Schicht wohlhabender Bauern gibt es auch hier; ihr Reichtum zeigt sich in großzügigen, massiven Steinhäusern, natürlich in Rindern und auch darin, daß Familienmitglieder mit einer guten Ausbildung einen Arbeitsplatz in der Stadt gefunden haben.

„Stadt“ heißt in Burundi fast immer Bujumbura, die Hauptstadt. Etwa 250.000 Menschen wohnen dort, nur etwa fünf Prozent der Einwohner Burundis leben in Städten – eine der niedrigsten Urbanisierungsraten Afrikas. Das ist nicht unbedingt ein Segen, weil ja der relativen Enge auf dem Land kein aufnahmefähiger Markt in der Stadt für Agrarprodukte gegenübersteht. Auch haben unter den ohnehin schon wenigen Stadtbewohnern noch weniger genug Geld für den gewiß delikaten Ziegenkäse aus dem Norden des Landes. In Industrieländern bildeten sich jüngst um einen vernünftigen Preis bemühte Verbraucherinitiativen – für Kaffee. Wer will in Europa schon Ziegenkäse aus Burundi?

Abends bleiben die Straßenlampen selbst in Bujumburas Geschäftszentrum dunkel. Licht spenden nur die Firmenschilder: Höchst, Kodak, Toyota... Beim Stadtbummel gibt es ein fast alternativ wirkendes Geschäft mit frischem Gemüse zu entdecken und auch eine versteckte modische Ladenpassage mit einem Warenangebot hart an der Grenze zum Luxus. Von drüben, von der anderen Seite des großen Tanganjikasees, leuchten die Lichter von Goma herüber, der großen Metropole, die schon zu Zaire gehört. Aber in Burundi gibt es keine urbane Tradition.

Jene Handvoll Luxuswaren in der Passage tropft aus dem globalen Wirtschaftskreislauf, der Burundi nur in spärlichen Rinnsalen erreicht. So findet auch hier der sonst in Afrika viel beklagte Massenaufbruch kaum statt: Landflucht. Den Fluchtbereiten – junge Männer vor allem – fehlen attraktive Ziele, weniger eine glitzernde Fassadenurbanität als zumindest Chancen auf einen Job in einem Handwerks- oder kleinen Industriebetrieb.

Mit einem Mindestmaß an bezahlbarer, ökologischer Technik ausgestattet, wären nämlich auch diese Sektoren eine sinnvolle Alternative zur Übernutzung des knapp und knapper werdenden Bodens. Aber da fast nichts derartiges nach Bujumbura lockt, wird es auf den Hügeln immer enger.

Ein unbefangener Besucher bemerkt nicht unbedingt die auf dem Land lastende Tragik. Zwischen 1962 und 1988 wurden bei Kriegen und Massakern zwischen den beiden Ethnien der Hutu und Tutsi etwa 500.000 Menschen umgebracht. Kaum irgendwo in Afrika wurden die ja nicht seltenen ethnischen Konflikte mit solcher Erbarmungslosigkeit ausgetragen wie hier in Burundi – könnte auch dies etwas mit der in Afrika sonst unerreichten Enge des Zusammenlebens auf den Hügeln zu tun haben?

Die Hutu waren zuerst da, hatten sich vor tausend Jahren mit ihrem Getreide und Gemüse in den Savannen als Bauern niedergelassen. Dann kamen fünfhundert Jahre später die Tutsi, Hirten aus dem Norden. Auch sie fanden mit ihren Herden genug Platz, weiter oben. Wie häufig waren die Hirten auch gute Krieger, leicht wurden sie die Herren, ein Königreich mit feudalistischen Elementen entstand. Dann mischten sich deutsche und belgische Kolonialherren ein, mitsamt der katholischen Missionsgefolgschaft. Sie verteilten neue Ausbildungschancen und Arbeitsplätze, vorrangig an die „adligen“ Tutsi, die sie für fähiger hielten. So wurden die Tutsi – ein Siebtel der Bevölkerung – auch noch Unternehmer, Plantagenbesitzer, Armee- und Verwaltungschefs, die Hutu blieben „ländliche Massen“. Erst seit etwa zwei Jahren scheint der sanfte Zwang einer langsamen Demokratisierung die Hutu aus dieser Situation einer marginalisierten Mehrheit herauszuführen. Im Juni wurde tatsächlich ein Hutu in freien Wahlen zum neuen Staatspräsidenten gewählt.

Die Weltöffentlichkeit interessiert sich kaum für Burundi. Nebenan liegt, fast ebenso unbeachtet, der Riese Zaire in jahrelanger Agonie. Aber könnte es nicht auch Wirkungsketten geben? Über Uganda nach Sudan, über das Horn von Afrika in den arabischen Raum?

Die burundischen Kaffeebauern kämpfen auf dem Weltmarkt um Nischen und ein paar Devisen, den geliebten Rindern rutscht der Boden im Wortsinne unter den Hufen weg. Jetzt sollen mit den Ziegen die wohl letzten verwertbaren Ressourcen intensiv bewirtschaftet werden. Aber auch sie brauchen Boden, und auf der Enge lastet die Hypothek einer haß- und gewalterfüllten, fast bis in die Gegenwart reichenden Vergangenheit. Sogar Diebstahl unter Nachbarn wird so selbstverständlich für möglich gehalten, daß aus Angst die Ziegen nachts mit in die Wohnhäuser genommen werden.

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