: Das Schreckgespenst heißt Proliferation
■ Nicht der Atomtest bietet Grund zur Sorge, sondern der Waffenhandel Chinas
Das chinesische Frachtschiff „Yinhe“ war auf dem Weg von China in den Iran, als es Ende August im Persischen Golf von Kampfflugzeugen und Schiffen der USA zum Anlegen im saudischen Hafen Damman gezwungen wurde. Die CIA hatte den Tip gegeben, an Bord des Schiffes befänden sich Grundstoffe für chemische Waffen. Doch die Experten fanden an Bord kein Gramm verbotener Güter. Die Schlappe der CIA zeigt, wie nervös westliche Geheimdienste reagieren, wenn sie die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen in dem Westen unfreundlich gesonnene Staaten vermuten. „Proliferation“ – Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen, heißt das Schreckgespenst.
Der gestrige Atomwaffenversuch verwundert nicht. Die fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, die USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und eben China, gehören seit langem zum exklusiven Club der Atommächte. Hinzu kommen die De- facto-Atommächte Indien, Pakistan und Israel. China hat allerdings vergleichsweise wenige Tests durchgeführt. Der letzte liegt über ein Jahr zurück. Anlaß zur Sorge bietet nicht die gestrige Explosion an sich. Die chinesische Regierung hat kaum ein Interesse, einen Nuklearkrieg vom Zaun zu brechen. Nach Ansicht von Dr. Annette Schaper von der „Hessischen Stiftung für Friedensforschung“ hat die Regierung in Peking „keine Erstschlagsoption“ und betrachtet ihre Atomwaffen eher als Statussymbol zur Untermauerung ihrer Vormachtstellung in der Region.
Grund zur Unruhe bietet allerdings die offensive Handelspolitik der Chinesen. Die Führung in Peking betrachtet Waffentechnologie made in China als x-beliebiges Handelsgut und saniert durch den Verkauf von Schießkram ihre Wirtschaft. Laut Dr. Schaper verkauft China Waffen „an jeden, der zahlen kann“, darunter Rußland, Iran, Syrien, Saudi-Arabien und Pakistan. Parallel dazu unterhält China seit Jahren engen Kontakt zu Israel. Die Regierung in Jerusalem bekam aus Peking geheime Informationen über Anzahl und Funktionsweisen chinesischer Waffen in den Arsenalen der arabischen Staaten und Irans. Die israelische Regierung revanchierte sich mit der Weitergabe von US- Waffentechnologie an die Chinesen. Im Sommer 1991 sorgte die Nachricht für Aufsehen, Israel habe chinesischen Technikern eine komplette Patriot-Rakete zur Ansicht überlassen. Die Israelis hatten das US-Luftabwehrsystem während des Golfkriegs von den USA erhalten, um die Bevölkerung vor Giftgasangriffen der Iraker zu schützen.
Nach Ansicht von Dr. Schaper besteht kaum die Gefahr, daß China komplette Atomwaffen weiterverkauft, wohl aber wichtige Bestandteile und Technologie zu deren Herstellung. Thomas Dreger
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