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Die Luft ist endgültig raus

Der beste Basketballspieler, der je einen Korb angesteuert hat, will nicht mehr fliegen: Michael „Air“ Jordan (30) erklärte seinen Rücktritt  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Zuerst war noch alles eitel Sonnenschein: Mit einem wohlgezielten Wurf, wie er dem größten Basketballspieler des Universums auch bei ungewohnter Ballgröße geziemt, eröffnete Ehrengast Michael Jordan im Baseballstadion von Chicago die Play- offs zwischen den Chicago White Sox und den Toronto Blue Jays. Wenig später aber blieb den Sportfans der Stadt am Michigansee schier das Herz stehen. Grund war jedoch nicht die Niederlage der Sox, sondern eine Nachricht, die wie ein Lauffeuer durch Chicago lief: Michael Jordan, zuverlässigster Punktelieferant des dreimaligen NBA-Titelgewinners Chicago Bulls, beendet seine Laufbahn. Innerhalb eines Jahres hat die Basketball-Liga der USA nach Magic Johnson und Larry Bird den letzten ihrer heiligen drei Könige verloren; zwar nicht den strahlendsten – dieser Titel ist Magic nicht zu nehmen –, aber dafür den faszinierendsten und brillantesten.

1984 wurde der 1,98 Meter große Jordan nach dem Olympiasieg von Los Angeles Profi und kam als dritte Wahl im alljährlichen „Draft“ zu den Bulls, damals ein Team, das überall gern gesehen war, weil es seinen Gegnern meist einen gemütlichen Abend verschaffte und ihnen großzügig den Sieg überließ. Michael Jordan verwandelte die Mannschaft mit seinen Zauberpranken umgehend in einen ernst zu nehmenden Widersacher der großen Klubs, auch wenn es einige Jahre dauerte, bis er die richtigen Nebenleute erhielt und es lernte, nicht nur selbst zu punkten, sondern seine erstaunlichen Talente optimal für die Mannschaft einzusetzen.

Kein anderer Spieler vermochte sich so schlangengleich durch die Reihen der Kontrahenten zu winden, keiner erreichte die Sprunggewalt des jungen Mannes aus Wilmington/North Carolina („Ich bin nur ein armer Junge vom Lande“), keiner schmetterte die Bälle so effektvoll in den Korb, und kaum einer traf ähnlich sicher aus der Halbdistanz. Wenn „Air“ Jordan abhob, war nie vorauszusehen, was genau passieren würde, eingestandenermaßen wußte er es oft selber nicht. Noch in der Luft vermochte er es auf geheimnisvolle Weise, die selbst durch die Superzeitlupe nicht zu entschlüsseln war, sich um mehrere Gegner herumzuschlängeln, der Ball flutschte von einer Hand in die andere, um dann, kurz bevor es wieder abwärts ging, mit links oder mit rechts in den Korb befördert zu werden. Und als sei das alles noch nicht genug, erlernte Jordan auch noch den Distanzwurf und entwickelte sich zu einem der besten Abwehrspieler der NBA.

Von ernsthaften Verletzungen blieb er verschont, kleine und mittlere Blessuren konnten ihn nicht vom Spielen abhalten. In den letzten sieben Jahren versäumte er ganze sieben Spiele, in den Play- offs hätten ihn die Gegner schon kidnappen und in Handschellen auf den Mars schießen müssen, um seine Mitwirkung zu verhindern. In der Endphase der Meisterschaft 1993 konnte ihn weder ein böse verstauchter Knöchel noch ein lädiertes Handgelenk daran hindern, die favorisierten New York Knicks und Phoenix Suns zur Verzweiflung zu treiben und sein größtes Ziel, den dritten Titelgewinn in Folge, zu erreichen. Das hatte vor ihm noch niemand geschafft, während er sogar den Rekord des besten Punktejägers in sieben aufeinanderfolgenden Spielzeiten mit dem legendären Wilt Chamberlain teilen mußte.

Die letzte Saison wurde jedoch zu einem wahren Spießrutenlaufen für den Dreißigjährigen. Wegen seiner Mitwirkung im olympischen Dream-Team hatte er kaum Urlaub gehabt, seine Nerven waren nicht die besten, er geriet in mehrere handgreifliche Auseinandersetzungen mit rüden Gegenspielern, seine Trefferquote sank. Bei jeder Niederlage der Chicago Bulls wurde Jordan verantwortlich gemacht, er mußte die Majestätsbeleidigung hinnehmen, nicht zum „Wertvollsten Spieler des Jahres“ gewählt zu werden, und schließlich erlitt auch sein bis dahin makelloses Image als sozial engagierte „Mischung aus Malcolm X und Multimillionär“ (Der Spiegel) immer mehr Risse.

„To be like Mike“ war lange Zeit der Slogan, der der amerikanischen Jugend eingetrichtert wurde, doch dann brachten Ermittlungen über die Ermordung eines Buchmachers eine beträchtliche Spielschuld ans Licht, die Jordan bei dem dubiosen Gesellen hatte. Als die Bulls zwei wichtige Play-off- Spiele in New York verloren, wurde ein nächtlicher Besuch, den Jordan mit seinem Vater dem Spielkasino von Atlantic City abgestattet hatte, mächtig aufgebauscht, kurze Zeit später erschien das Buch eines Exfreundes, in dem dem Basketballspieler vorgeworfen wurde, bei Golfwetten mehr als eine Million Dollar verloren zu haben. Der reichste Sportler der Welt, dessen Jahreseinkommen 40 Millionen Dollar betrug, dementierte heftig – wohl hauptsächlich, weil er in seiner Ehre als Golfspieler gekränkt war –, reagierte mit einem Medienboykott, erste Spekulationen über ein Karriere-Ende kamen auf.

Das Erreichen seines Traumzieles, der dritten Meisterschaft, schien ihn wieder mit der Basketballwelt zu versöhnen, doch der Tod seines Vaters James, der in Lumberton/North Carolina Anfang August einem Raubmord zum Opfer fiel, gab dann den Ausschlag zum Rückzug. Er habe nicht mehr „das nötige Feuer“, erklärte Jordan, Freund Magic Johnson hatte es bereits geahnt: „Ich habe selten einen Menschen gesehen, der so erfolgsbesessen ist wie Michael, aber er hat alles erreicht. Es kann eigentlich nur noch abwärtsgehen.“

In Wahrheit hatte der begnadete Basketballer schon in letzter Zeit viel lieber Golf gespielt, ein Hobby, das bei seinem exzellenten Handicap 6 durchaus in eine neue Profikarriere münden könnte, was Jordan selbst keineswegs ausschließen mochte: „Wenn ich gut genug werde, gehe ich es an.“

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