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Ein Gebäude nach hanseatischer Art

■ Lichter Innenhof, dunkle Geschichte - die neue Zentrale der Hanse-Merkur   Von Uli Exner

Die Stimmung der Festgäste war prima. Die Sonne schien durch den akkurat gestylten Lichthof. Der Bürgermeister freute sich über ein „überaus gelungenes Bau-Ensemble“, entstanden aus der Verschmelzung von „Bedarfsdeckung an Büroraum, städtebaulicher Planung und denkmalpflegerischer Aspekte“. Einfach schön.

Einweihung der neuen Konzernzentrale der Hanse-Merkur-Versicherung am Dammtor-Bahnhof gestern nachmittag. Ein weiteres Symbol für die sorgsam gepflegte Symbiose zwischen hansestädtischer Wirtschaft und sozialdemokratischer Politik? Oder etwa doch ein typisches Kapitel aus der unendlichen Geschichte über den „absoluten Vorrang ökonomischer Interessen vor denen der Kultur“, wie es ein ehemaliger Denkmalpfleger überschreibt?

Anfang der 80er eröffnete Hanse-Merkur-Chef Gerd-Winand Imeyer den Behörden seine Pläne für das zum großen Teil brachliegenden Gelände zwischen Alsterglacis und Neuer Rabenstraße. Ein „Filet-Grundstücke“, damals in städtischem Besitz, auf dem auch mehrere denkmalgeschützte klassizistische Häuser stehen. Stadt und Hanse-Merkur waren sich schnell einig. Ein Architekten-Wettbewerb wurde ausgeschrieben, mit der Auflage, die alten Häuser angemessen zu integrieren. Der preisgekrönte Entwurf sah ein fünfstöckiges Gebäude mit etwa 16.000 Quadratmeter Nutzfläche vor.

Damit hätten die Denkmalschützer gut leben können. Nur: Die gestern eingeweihte Konzernzentrale hat sieben Geschosse und „21.000 Quadratmeter Nutzfläche“, wie die Hanse-Merkur in einer Festschrift stolz vermerkt. Die Altbauten wirken da schon etwas verloren. Oder, wie es in einem internen Vermerk der Kulturbehörde heißt: „Durch die Veränderung der Neubauplanungen ist (...) die städtebauliche Präsenz der Kulturdenkmäler und damit ihre städtebauliche Bedeutung empfindlich reduziert.“

Ergebnis eines Verhandlungsmarathons der hanseatischen Art. Rechtzeitig vor Baubeginn hatte die Hanse-Merkur nämlich festgestellt, daß das geplante Gebäude für die Konzernbedürfnisse viel zu klein geraten würde. Zeit also, dem Senat ein wenig Druck zu machen. Der damalige Wirtschaftssenator Wilhelm Rahlfs erinnert sich heute vage an „massive Hinweise des Investors“.

Konzernchef Imeyer hatte dem Senat zu erkennen gegeben, daß die Hanse-Merkur ihre Konzernzentrale auch in Braunschweig errichten könne. Eine Drohung, die Kenner der Versicherungsszene aufgrund der Hamburger Standortvorteile für völlig gegenstandslos hielten, wie der damalige Kultursenator Ingo von Münch etwas verschnupft erinnert. Er hatte im Senat gegen die neuen Baupläne votiert, möchte den Vorgang aber „heute nicht mehr öffentlich kommentieren“. Münchs RegierungskollegInnen genügte der 800 Arbeitsplätze schwere Zaunpfahl Imeyers jedenfalls. Sie beschlossen am 7. März 1989 den überarbeiteten Bebauungsplan. Senatschef Voscherau meldete Imeyer sechs Tage später Vollzug: „... freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können ... 19.400 Quadratmeter...“.

Das reichte noch nicht. Imeyer, ohnehin genervt von seinem drängelndem Aufsichtsrat und den Zusatz-Millionen, die er vertragsgemäß für die Grundrenovierung der Baudenkmäler hinlegen mußte, legte nach. Zunächst 20.000, schließlich 21.000 Quadratmeter sollten's schon sein. Wie der Versicherungschef das schaffte, entzieht sich im Detail unserer Kenntnis.

In den Amtsunterlagen ist von Rechenfehlern im Bermuda-Dreieck von Bezirksamt, Baubehörde und Wirtschaftsbehörde die Rede und vom Zugeständnis der Hanse-Merkur, die neuen Stockwerke nach hinten versetzt als sogenanntes Staffelgeschoß zu bauen.

Kein Wort steht da von jener China-Reise des Bürgermeisters im Oktober 1988, an der auch Hanse-Merkur-Chef Imeyer teilgenommen hat. Danach, so erinnert sich der Ex-Denkmalschützer, sei „im Grunde alles sehr, sehr schnell gegangen.

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