: Destruktive Kulte im religiösen Vakuum
■ Fachtag am Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis zum Thema Schule und Sekten
„Die Verfolgung religiöser Minderheiten ist nicht nur ein Gespenst, das Scientology an die Wand malt,“ ermahnte gestern Pastor Helmut Langel vor Bremer LehrerInnen im WIS (Wissenschaftliches Institut für Schulpraxis). Der Sektenbeauftragte der Evangelischen Kirche Bremen hielt den Eröffnungsvortrag des Fachtages „Neue Religiosität und destruktive Kulte“. Langel beugte damit schon vorab der naheliegenden Kritik vor, die Kirche verfolge mit den Sekten unliebsame Konkurrenz. Schon der Begriff „Sekte“ entstamme der apologetischen Rhethorik der Großkirchen. Langel selbst bevorzugt den neutralen Anglizismus „Kult“.
Welche Kulte gefährlich und wie sie zu erkennen sind, wie man sich als Eltern und LehrerInnen verhalten muß sowie Betroffenenberichte standen auf der Tagesordung des Fachtages. Langel, ausgewiesener Kenner der Bremer Szene auch von innen, unterscheidet: Neureligiöse und Psychokulte, klassische Sekten und okkultistische bzw. esoterische Gruppen. „Destruktive Kulte“ seien vor allen in der ersten Gruppe zu finden, zu der er z.B. Scientologie, Baghwan, die Vereinigungskirche und die Transzendentale Meditation (TM) rechnet. „Destruktiv“ heißt laut Langel: Die Religion ist bloße Fassade für wirtschaftliche Interessen, intern gibt es totalitäre Strukturen, Rassismus, Heilsgarantien, finanzielle und psychische Ausbeutung.
In Bremen spielt Ron Hubbards Scientologie (SC) mit Sitz am Osterdeich 27 die größte Rolle; sie versucht erfolgreich, unter verschiedensten Tarnnamen für sich zu werben; im letzten „Bremen Magazin“ etwa erschien die Anzeige einer SC-Tarnorganisation „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“. Auch die taz fiel auf den Anzeigenauftrag des SC-Ableger „Universelles Leben“ rein.
Ebenso rigide, aber „im Schatten des Sperrfeuers gegen SC,“ (Langel) arbeitet TM mit „Centern“ in der Parkstraße und der Ringofenstraße. Beide Kulte bieten Kinder- und sogar Kleinkinderprogramme an. Beide sind extrem prozeßfreudig, selbst beim WIS wurde im Vorfeld des Fachtages juristische Einschüchterung versucht. TM versucht zudem, politisch wirksam zu werden durch die Gründung einer eigenen „Naturgesetz Partei“ (vgl. taz vom 6.10.).
Traditionsreich, von den Nazis verfolgt, heute nach Erkenntnissen des Sektenbeauftragten zunehmend aggressiver (und jünger) treten die Zeugen Jehovas auf. Neu am Markt, seit der letzten Esotherik-Messe im Parkhotel auch in Bremen erfolgreich ist die japanische „Mahikari“-Sekte in Hastedt, die durch „Lichtgaben über die Hand“ zu heilen vorgibt. Aggressiv und neu in Bremen ist „Universelles Leben“, dessen wirtschaftliches Gebaren schon mehrfach Gegenstand von TV- Magazinsendungen war.
Die Rolle der Medien sieht Aufklärer Langel ambivalent: Reißerische Berichterstattung macht die Kulte oft erst interessant für Jugendliche. Auch gut recherchierte und seriöse Berichte sind meist in kurzer Zeit vergessen; so hatte eine Bremer Tageszeitung ganzseitig über die Machenschaften der SC berichtet, und 1/2 Jahr später machte Karstadt eine Buchaktion für Hubbards Schrifttum.
Es gibt so viele Ursachen für einen Sektenboom, daß man sie nachgerade für notwendig halten könnte. Pastor Langel erkennt u.a. auf „religiöses Vakuum“. Betroffenen Angehörigen empfiehlt er: Nicht polarisieren, keine Gegenmission — über Sektenhintergrund informieren! Und für LehrerInnen: Bloß keine Sektenmitglieder einladen! Sie sind immer die besseren Strategen: „Man ist den Gesprächen nicht gewachsen!“ Bus
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