Erich H. hätte sich geschämt

■ Das Nationalkomitee Freie DDR feierte den 44. Jahrestag der Staatsgründung als "Tag der Würde und des Widerstandes" / "Befreiungskampf gegen die Besatzer"

Erich Honecker tut gut daran, seinen Lebensabend weit weg in Chile zu verbringen. Die Aktivisten des Nationalkomitees Freie DDR (NKFDDR), die am Donnerstag abend den 44. Gründungstag der DDR als „Tag unserer Würde“ feierten, hätten selbst ihm die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Die Grußbotschaft eines Aktivisten an den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden, „das mit dem Sozialismus das nächste Mal besser zu machen“, ging unter in den Klängen der vom Band abgespielten textlosen DDR-Nationalhymne.

Mit brennenden Fackeln und DDR- und Schnapsfahnen gedachte ein kümmerliches Häufchen von weniger als zehn Mitgliedern der PDS, der KPD und der Freien Arbeiter Union/Anarchistische Partei (FAU/AP) vor der ehemaligen DDR-Volkskammer der Zeiten, in denen „es uns schon mal besser ging“. Im Kampf für eine bessere Zukunft wollen sie den Palast der Republik „mit allen Mitteln verteidigen“. Jens aus Leipzig, Mitbegründer des NKFDDR und ehemaliger Student des Wissenschaftlichen Kommunismus, ist durch seinen neuen Job als Parkplatzwächter „jetzt näher an der Arbeiterklasse dran“. Also weiß er ganz genau, wovon er spricht, wenn er in seiner Rede „Land und Betriebe“ zurückfordert. Er will nicht „unter Deutschland zugrunde gehen“, sondern „in einer neuen DDR überleben“.

Mit einem ähnlich fundierten Geschichtsbild wartete ein Vertreter der FAU/AP auf, die in ihrem Magazin Die Schwarze Garde unter anderem Tips zum Führen und Sichern von Waffen gibt. Der dickbäuchige Heidelberger mit schwarzem Schnauzbart schickte seine Parolen von der „Zerschlagung des 4. Reiches“ durchs Megaphon und kündigte an, daß „der Endpunkt der Entwicklung noch nicht erreicht“ sei. Ein KPDler rief im Fackellicht zum „Befreiungskampf gegen das Joch der Besatzer“ und zur „neuen Inbesitznahme des von den Okkupanten enteigneten Landes“ auf. Seine „moralische Berechtigung zum Widerstand“ findet der Solinger, der 1962 nach Westberlin gezogen ist, darin, daß „das westdeutsche Kapital sich die Ergebnisse der Arbeit von einigen Generationen durch Raub angeeignet hat“.

Jede Nostalgieveranstaltung braucht ihren kulturellen Rahmen. Dafür wurde die „Liedertafel Margot Honecker“ aus Hamburg eingeladen. Das „singende Kulturkollektiv“ bildeten vier junge Leute aus Eisenhüttenstadt in FDJ-Hemden, die seit 1990 in Hamburg, einer Stadt „erzkapitalistischer Dialektik“, leben und dort „original sozialistische Lieder“ singen.

Bevor sich das DDR-Gruselkabinett zum anschließenden Umtrunk aufmachte, gedachten die Aktivisten ihrer russischen Brüder im „Befreiungskampf gegen die Kolonialisierung Rußlands“, und auch die Roten Khmer, die IRA und ETA wurden in die Grußbotschaft an „alle Aktivisten in der ganzen Welt“ miteinbezogen. Barbara Bollwahn