: Demokratie statt „Anti“
Antonia Grunenbergs Kritik des deutschen Antifaschismus als politischer Strategie ■ Von Cora Stephan
Götz Aly hat – womöglich als einziger – in der taz auf die Chancen hingewiesen, die der Mielke- Prozeß für gesamtdeutsche Selbstvergewisserungen hätte bereithalten können: Die Anklage gegen Mielke wegen Polizistenmordes in der Weimarer Republik, nicht wegen Verbrechen in der DDR, geht keineswegs an der Sache vorbei, sondern trifft mitten ins Zentrum des deutschen Unglücks. Sie nimmt sich einem frühen der vielen Opfer der Deutschen an: der ersten Demokratie, die das Land erleben durfte – einem ziemlich häßlichen Kind zwar mit übergroßem Kopf und wackligen Beinchen, das aber die Ablehnung schwerlich verdiente, die ihm von allen Seiten entgegenschlug.
Was man am Fall Mielke verpaßt hat, kann man mit Antonia Grunenbergs aufregender Studie über den „Mythos Antifaschismus“ nachholen – worum dringlich zu bitten ist, wollten die Bewohner dieses Landes einmal etwas über sich begreifen. Denn in der deutschen Tragödie spielt die Mißachtung der Weimarer Demokratie eine Hauptrolle; Täter: (fast) alle. Es waren nicht nur die autoritären Sehnsüchte und die angesichts der anbrandenden Moderne europaweit verbreiteten Katastrophengefühle vor und im Ersten Weltkrieg, die viele nach radikaleren Mitteln als dem „Parlamenteln und Kompromisseln“ in der Weimarer „Schwatzbude“ rufen ließen. Auch die Gegenwartsverachtung der Linken und ihr Hochhalten der „Systemlogik“ (Kapitalismus oder Sozialismus) hatten Teil an der Geringschätzung der Demokratie, die von der kommunistischen Linken überdies aktiv bekämpft wurde. Das war der erste, der Ur-„Antifaschismus“. Den betrieb man nämlich lange vor 1933, noch vor der Formulierung der „Sozialfaschismustheorie“ im März 1931 durch die Komintern, wonach der Kampf gegen den Faschismus „in erster Linie die Entlarvung der Sozialdemokratie, zweitens den Kampf gegen die bürgerliche Demokratie“ bedeute. Polizistenmorde waren inbegriffen. Denn „Antifaschismus“ richtete sich zuerst gegen „Weimar“.
Ein weiteres Mal verpaßten Chancen hinterhertrauern möchte man bei Antonia Grunenbergs Beschreibung des „antifaschistischen“ Kampfes gegen die Weimarer Demokratie – wie schrecklich viele Menschen auf der Rechten ebenso wie auf der Linken waren doch der festen Überzeugung, auf diese schwache Demokratie zugunsten einer mit Notwendigkeit kommenden besseren Welt verzichten zu können.
Wie aktuell das ist: Nach der Lektüre dieser Untersuchung versteht man entschieden besser, warum auch Menschen, die als Vorbilder getaugt hätten, 1968 entsetzt waren, als Studentenbewegte den großen Unterschied, den die Demokratie macht, schlicht wegbügelten, indem sie skandierten: „Kapitalismus führt zum Faschismus, Kapitalismus muß weg.“ Der blöde westdeutsche Werterelativismus, das Partygeschwätz, wonach „der Honecker auch nicht schlimmer als der Kohl“ gewesen sei, ärgert einen danach noch mehr. Und, nein: auch von der „antifaschistischen“ Identität der Ex- DDRler möchte man dann nichts mehr hören – können wir uns nicht endlich mal auf Demokratie als bestes, wenn auch stets gefährdetes Projekt gegen totalitäre Anfechtungen einigen?
Wer „Antifaschismus“ für das umstandslos Gute hält, was etwa die DDR ins neue Deutschland einzubringen habe, verkennt den Charakter dieser Formel. Sie war schon in der Weimarer Republik, erst recht aber unter der Blocklogik der Nachkriegszeit Propagandamittel und Kampfinstrument. Als politische Strategie (nicht als konkrete Widerstandsform) war die Formel vom „Antifaschismus“ „antidemokratisch, insofern sie an dem symbiotischen Zusammenhang von Kapitalismus und Nationalsozialismus/Faschismus festhielt und Demokratie als manipulative Herrschaftsform der Bourgeoisie denunzierte“.
Antonia Grunenberg führt indes ohne Kampfestöne durch die Geschichte des Begriffs, der nicht nur in Deutschland, sondern etwa auch in Frankreich die Linke vom offenen Agieren gegen die im Stalinismus und in den Schauprozessen kenntlich gewordene Sowjetunion abgehalten hat. Mit dem Mythos vom Antifaschismus – wer wollte schon zum Lager des Faschismus zählen? – waren schließlich auch die DDR-Bürger guten Willens bestens erpreßbar gewesen. Überdies versöhnte der „Antifaschismus“ mit seinem „antifaschistischen Schutzwall“ durch die moralische Gewißheit, die er verlieh, mit einer bescheidenen Gegenwart. Die DDR, verkörpert auch im Märtyrer Honecker, der unter den Nazis im Knast gesessen hatte, hatte sich mit Hilfe dieses Mythos auf die Seite der Sieger der Geschichte geschlagen und sich selbst, aufgrund der Vergangenheit ihrer Führer, von jedem Anteil an deutscher Schuld exkulpiert. Selbst die undogmatische Studentenbewegung in der BRD, der man Vorliebe für den Altherrensozialismus der DDR und für die „Revis“ im Westen kaum unterstellen konnte, gab mit der Vorstellung, der kapitalistische Westen sei präfaschistisch, der „sozialistischen“ DDR wenigstens noch einen antifaschistischen Bonus.
Der real existierende Antisemitismus in der DDR, als „Zionismus“ deklariert, vertrug sich mit dem antifaschistischen Mythos dabei insofern, als die Bedeutung des Begriffs innerhalb der Systemlogik, nämlich als Ausdruck des Kampfes der Kommunisten gegen den Imperialismus und seine Erscheinungsformen, die Juden nur als Opfer unter anderen erscheinen ließ. Mehr noch: Als „eigentliche“ Opfer des Faschismus erwiesen sich vielmehr jene, die im Kampf zwischen Gut und Böse unzweideutig auf der richtigen, nämlich auf der der Sowjetunion standen.
Die Hoffnung auf eine demokratische Kultur in Deutschland ist der Grundton dieses Buchs, das zugleich verstehen hilft, warum wir sie in unserer Geschichte so oft zu verfehlen verstanden. „Mythos“ nennt Grunenberg den Begriff des Antifaschismus nämlich auch, weil er jenseits seiner Funktionalisierung als Propagandainstrument vor allem deutsche Sehnsüchte ausdrückte: Sehnsüchte nach Ganzheit anstelle der „zersetzenden“ Moderne, nach einer egalitär organisierten Gesellschaft anstelle der Pluralität der Interessen und des parlamentarisch organisierten Streits. Grunenbergs Buch gibt auch Auskunft über anhaltende Unversöhntheit der Deutschen mit dem angelsächsisch-pragmatischen Spiel der Demokratie. Dabei: „Die Alternative zum ,Anti‘ kann nur die Errichtung einer zivilen demokratischen Kultur sein.“ Dazu gehört allerdings ebenso der Abschied von linken Mystifizierungen und die Auseinandersetzung mit dem Teil der deutschen Geschichte, den die DDR repräsentiert. Dieses Buch liefert das entscheidende Kernstück dazu.
Antonia Grunenberg: „Antifaschismus – ein deutscher Mythos“. Rowohlt Verlag, Reinbek 1993, 222 Seiten, 16 DM
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