: Stundenlang auseinandergesetzt
■ „Zwischen Liebe und Zorn“ – Singebewegung und Liedermacher in der DDR Eine Diskussionsveranstaltung im Kulturhaus Mitte
„Wir waren doch wichtig.“ Stefan Körbel, einst in der DDR-Singebewegung und später im Liedertheater „Karls Enkel“ beschäftigt, besteht darauf. Was er zum Beweis anführt, ist einigermaßen skurril: Schließlich habe sich Ideologiechef Kurt Hager stundenlang mit ihnen auseinandergesetzt.
Stefan Körbel hat mit anderen Liedermacher-Kollegen aus der Singebewegung den Verein „Lied und soziale Bewegung“ gegründet, der Singebewegungsdokumente sammelt und sich der Vergangenheitsbewältigung verschrieben hat. Zu diesem Zweck hatte der Verein am vergangenen Samstag zu einer Veranstaltung geladen. „Sollen doch möglichst viele von denen, die damals involviert waren, kommen“, hieß es: „Solange wir noch im Besitz unseres Erinnerungsvermögen sind, stehen wir in der Pflicht.“
Um der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, hatten die Organisatoren einen Dokumentarfilm aus dem Jahr 1968 über den „Oktoberklub“ ausgegraben: „Lieder machen Leute“ ist Propaganda – entstanden drei Jahre nach dem 11. Plenum des ZK der SED, dem ersten spektakulären Fall restriktiver Kulturpolitik nach dem Mauerbau. Der Film verschweigt, daß derselbe „Oktoberklub“ noch ein Jahr zuvor „Hootenanny- Klub“ hieß und nur auf Druck von Kulturfunktionären umbenannt worden war. Die englische Bezeichnung mißfiel ebenso wie die Tatsache, daß die staatliche Jugendorganisation FDJ keinen Einfluß auf die Klubarbeit hatte.
Diese Umbenennung war es auch, um die das Gespräch im Kulturhaus Mitte am Wochenende zunächst kreiste: Mit der Umbenennung stieg der Musikklub von einem unter vielen zum Hätschelverein der FDJ auf, und seine Mitglieder wehrten sich auch dann nicht gegen die Bevormundung, als das erste Konzert nach der Umbenennung am 4. 3. 1967 gemeinsam mit dem Armee-Ensemble „Erich Weinert“ stattfand. Sie protestierten auch nicht dagegen, daß dieses von der FDJ organisierte Konzert ein anderes, unkontrolliertes ersetzte.
„Und über unsere Gebrechen täuschen wir uns so lange, bis wir sie für Vortrefflichkeiten halten“ (Brecht), skandieren Oktoberklubmitglieder 1968. Der Satz ist programmatisch für die Singebewegung unter den Fittichen der FDJ. Wer dieses Spiel nicht mitspielte, hatte sich zurückzuziehen – wie etwa Bettina Wegner, die nun im Kulturhaus Mitte die Seite der Ausgestoßenen vertrat.
Eine der ungeschriebenen Spielregeln in der offiziellen Singebewegung war es, die Ausgeschlossenen zu schneiden. Die meisten Sänger hielten sich an die vorgegebenen Tabus und befriedigten ihren Widerspruchsgeist damit, von Zeit zu Zeit kritische Zeilen in die selbstgemachten Verse zu streuen und sich darum so lange mit der Nomenklatura zu streiten, bis sie wegen ihrer krittelnden Zeilen irgendwann Anlaß zu einer wichtigen Auseinandersetzung mit den diversen Parteiideologen gaben und aus der Obhut entlassen wurden. Dazwischen blieb nur ein Weg: Rückzug.
Es ist der Weg, den sich auch Regina Scheer, ehemals Texterin der Singebewegung, ausgesucht hatte – spät. Jetzt sitzt sie neben Bettina Wegner auf dem Podium im Kulturhaus Mitte und müht sich um Erinnerung: „Ich will wissen, wie das gekommen ist, daß wir uns gespalten haben.“ Dazu suchen die Diskutanten erst einmal nach den Brüchen der Anfangszeit. „Wir hatten doch das gleiche Ziel“, sagt Bettina Wegner. „Das Problem war, daß Ihr links und rechts rausgeschmissen habt.“ Mosaiksteinchen sind es, die da zusammengetragen werden und in denen schemenhaft das Machtgefüge der DDR sichtbar wird; Versagen und Opportunismus der einzelnen, die dem Interesse der Staatsmacht in die Hände arbeiteten. Wegners Hypothese, daß es der Staatsapparat, die Bonzen gewesen seien, die Schuld am gescheiterten Sozialismus tragen, ist für dieses Puzzlespiel allerdings nicht brauchbar. Friederike Freier
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