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PLO-Zentralrat für „Gaza-Jericho-Abkommen“

■ Jassir Arafat konnte die Mehrheit des palästinensischen „Miniparlaments“ für sich gewinnen / Enge Vertraute kritisierten den Führungsstil des PLO-Chefs

Tunis (taz) – Nach dreitägiger Debatte billigte am Dienstag morgen der Zentralrat der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Tunis das „Gaza-Jericho- Abkommen“ über eine Teilautonomie für die Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten. In Abwesenheit der meisten Gegner von PLO-Chef Jassir Arafat stimmten 63 Delegierte für das Abkommen, acht dagegen und elf enthielten sich der Stimme. 25 der insgesamt 107 Mitglieder des Gremiums fehlten bei der offenen Abstimmung. Das Votum gibt Arafat grünes Licht für die heute in Ägypten beginnenden israelisch-palästinensischen Gespräche über die Umsetzung des Plans.

Der Zentralrat ist ein Gremium zwischen dem 18köpfigen Exekutivkomitee der PLO und dem rund 600 Mitglieder zählenden Nationalrat, dem „Exilparlament“ der Palästinenser. Als „Miniparlament“ hat er zwischen den im Abstand von mehreren Jahren stattfindenden Treffen des Nationalrats die gleichen Befugnisse wie dieser.

Arafat hatte in Tunis keine Probleme, eine Mehrheit für das Abkommen zu gewinnen. Seine wichtigsten Widersacher, die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) unter George Habbash, die „Demokratische Front zur Befreiung Palästinas“ (DFLP) unter Naif Hawatmeh und andere Gruppen boykottierten die Sitzung. Kritiker aus Arafats eigener Gruppe, der Fatah, waren vorher in ihre Schranken gewiesen worden. Hani Al Hassan, bisher Mitglied des Zentralkomitees der Fatah und Delegierter zum PLO-Zentralrat, war in der vergangenen Woche überraschend durch den palästinensischen Botschafter in Tunis, Hakam Balawi, ersetzt worden. Der Geschaßte gilt als einer der zentralen Gegner des „Gaza-Jericho-Abkommens“ innerhalb der Fatah. Er war dem PLO-Chef in den vergangenen Wochen wegen Kontakten zu den in Syrien residierenden Arafat-feindlichen Gruppen unangenehm aufgefallen.

Ein weiterer mächtiger Kritiker des Teilautonomieplans innerhalb der Fatah war bisher Faruq Qaddumi. Der inoffizielle „Außenminister“ der PLO nahm in Tunis jedoch Teile seiner Kritik zurück. Das Abkommen enthalte „gute, aber auch schlechte Punkte“, sagte er vor den Delegierten. Nun gelte es, die Kritik innerhalb und nicht außerhalb der PLO zu äußern, um so die negativen Seiten zu korrigieren.

Arafat begegnete in seiner Rede dem Vorwurf arabischer Regierungen, die PLO betreibe einen „Alleingang“ mit den Israelis. Seine Organisation habe die an den Nahost-Friedensgesprächen beteiligten arabischen Regierungen in den letzten Monaten mehrfach darauf hingewiesen, daß man kurz davor stünde, ein Abkommen mit den Israelis zu unterzeichnen. In Damaskus, Beirut und Amman sei dies aber nicht geglaubt worden.

Mahmud Abbas (Abu Masen), einer der wichtigsten Architekten des Abkommens, sagte, durch die in Oslo ausgehandelten Vereinbarungen bestehe „die Möglichkeit, einen unabhängigen palästinensischen Staat zu gründen, aber auch die Gefahr, für immer und ewig unter israelischer Besatzung zu bleiben“. Unerwartet übten Abbas und andere enge Vertraute Arafats Kritik an dessen Führungsstil. Der PLO-Chef habe sich selbst zum „Präsidenten des Staates Palästina“ ernannt und als solcher in den letzten Wochen zahlreiche selbstherrliche Erlasse unterzeichnet, lautete einer der Vorwürfe. Des weiteren plane Arafat, persönliche Verbündete und Freunde auf Posten in den noch zu gründenden Selbstverwaltungsbehörden zu hieven. Zu den Kritikern gehörten auch Ahmad Kureih (Abu Ala), der die Geheimverhandlungen in Oslo begonnen hatte, der Vorsitzende der „Demokratischen Union“, Jassir Abed Rabbo, und die jetzt als „Volkspartei“ firmierenden früheren Kommunisten.

Arafat soll ursprünglich geplant haben, die in dem Abkommen für den 13. Juli des kommenden Jahres vorgesehenen Wahlen im Gaza- Streifen und in Jericho zu verschieben. Statt dessen wollte er persönlich eine ihm loyale Übergangsregierung einsetzen. Diese Bestrebungen wurden vom Zentralrat gebremst. Ein Delegierter aus der Westbank bezeichnete es als „Katastrophe“, wenn Arafat in Zukunft die Autonomiebehörden führe, „wie er jetzt die PLO führt“. Nach heftigen Diskussionen einigte man sich in Tunis gestern morgen darauf, eine sogenannte „Nationale Autorität“ zu gründen. Dieses Gremium soll vom Exekutivkomitee der PLO bestimmt werden und sich aus Vertretern aus den besetzten Gebieten, Palästinensern aus der Diaspora und Mitgliedern des Exekutivkomitees zusammensetzen. Sie sollen die Verhandlungen mit den Vertretern Israels überwachen und qualifizierte Personen für die Autonomieinstitutionen benennen. Eine zentrale Aufgabe der „Nationalen Autorität“ soll die Vorbereitung der Wahlen in Jericho und im Gaza- Streifen sein. Khalil Abied

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