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Brigitte Bardot wollte nicht kommen

Lokaler und internationaler Blut- und Geldadel vergnügen sich beim Steeplechase in Tschechien – die Pferde weniger. Tierschützer protestieren gegen das Hindernisrennen  ■ Aus Pardubice Tomas Niederberghaus

Stanislav Busek malt Pferdeporträts. Dieses Hobby pflegt er hingebungsvoll. Für den heutigen Tag hat der Rentner gleich ein gutes Dutzend Bleistiftzeichnungen angefertigt – und dabei auf viele interessierte Käufer gehofft. Jetzt stehen die kleinen Kunstwerke vor einem Baumstumpf, unbeachtet. Alle paar Minuten zieht Stanislav Busek einen Lappen aus seiner Anzugjacke, wischt Staub von den Glasrahmen ab und schaut stoisch in die Menschenmenge, die an ihm vorüberzieht.

Für Kunst interessiert sich hier heute niemand. Denn die Stimmung ist explosiv, und die Menschen vor den Toren der Pferderennbahn im tschechischen Pardubice sind mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Da stehen auf der einen Seite Soldaten mit Schlagknüppeln und Pistolen, da stehen auf der anderen Seite Tierschützer mit Transparenten, Holzkreuzen und Broschüren.

Bevor der Startschuß zum Steeplechase fällt, erinnern die Gegner das vorbeiziehende Publikum an die Tradition des Rennens. Nein, nicht daran, daß das erste Rennen im Jahre 1874 in Pardubice stattfand, nicht daran, daß es den Kommunisten auch als Vorzeigeveranstaltung für den Westen diente, getreu dem Leitspruch „Was ihr habt, haben wir auch“. Sondern daran, daß der Steeplechase vor einem Jahr zum Wallfahrtsziel für Tierschützer geworden ist. Aus traurigem Anlaß.

„Vier Pfoten“, eine österreichische Organisation, faßt die Ereignisse 1992 am Haupteingang des Rennplatzes zusammen. Für Pferdesportler und Besucher wird ein Video gezeigt: Fünf Pferde stürzen in den Tod, verletzte Reiter liegen am Boden, private Sicherheitskräfte schlagen Demonstranten brutal nieder. Diese Bilder gingen um die Welt, und die blutige Bilanz wirft noch heute dunkle Schatten auf den Parcours von Pardubice.

Roher Schinken, Lachshäppchen und Champagner – damit stimmen sich die feinen Menschen in der VIP-Lounge auf den Wettbewerb ein: Englische Lords präsentieren sich in karierten Jacketts und Halstüchern, deutsche Adelsfrauen in naturfarbenen Kostümen zeigen Seidenschals und Hüte. Hier kann kein Demonstrant die Stimmung trüben. „Die Unfälle, bitte schön, passierten doch nur, weil die Pferde von den Anarchisten abgelenkt wurden“, sagt ein österreichischer Geschäftsmann, „und wenn es den Steeplechase nicht geben würde, müßten die Pferde ja in die freie Natur zurück. Den Rowdies geht's doch nur um Randale.“ Dann entschuldigt sich der Herr – er muß zum Wetten.

Noch vierzig Minuten bis zum Startschuß. Dann werden Vierbeiner im gestreckten Galopp über den Parcours donnern. Im letzten Jahr waren zu diesem Zeitpunkt Scharen von Demonstranten auf die Rennstrecke gezogen. Sie versuchten, den Wettkampf zu verhindern – ohne Erfolg.

In diesem Jahr gibt es für Kundgebungen gar nicht erst eine Chance: Mannshohe Zäune zirkeln die Rennbahn ab. Das Areal ist umstellt. Neben den Soldaten sind etwa 200 schwarze Sheriffs der privaten Sicherheitsagentur „Vidocq“ auf den Beinen. Sie haben den Auftrag, Gegner „mit angemessener Gewalt aus der Rennbahn abzuführen“. „Wir sind keine blutrünstigen Leute, die Pferde ruinieren wollen“, sagt Tierarzt Dr. Jiri Janda, der Direktor des Rennplatzes. „Um Unfällen in diesem Jahr vorzubeugen, haben wir nicht nur Schutzmaßnahmen gegen Demonstranten ergriffen, sondern auch Gefahrenquellen bei den Hindernissen beseitigt.“

Der berühmte wie berüchtigte Taxisgraben ist nun nicht mehr so tief, Balken wurden mit weichen Materialien umwickelt, scharfe Kanten mit Moor zugeschüttet. „Alle Änderungen“, sagt Janda zufrieden, „haben der englische Jockey Peter Scudamore und Jenis Cox begutachtet.“ Cox ist Direktorin der Welttierschutzorganisation für Mittelosteuropa. Auf solche qualifizierten Urteile könne man sich voll verlassen, meint Janda.

Auch die Stadtväter von Pardubice haben sich ins Zeug gelegt, um das angekratzte Image wiederaufzupeppen: Schon vor Wochen schickten sie einen Brief an Brigitte Bardot. Als Tierfreundin solle sie sich des Problems einmal annehmen. Frau Bardot hat sich allerdings bis heute nicht gemeldet. Pech für die Kommunalpolitiker, die mit ihrem Vorschlag einen gewitzten Hintergedanken verbunden hatten: Die Französin hätte internationale Sponsoren ködern können. Denn der Cognac-Hersteller, der noch ins letzte Rennen große Summen gesteckt hatte, wollte sich seinen Ruf mit dem anrüchigen Sport nicht weiter verderben. In letzter Minute ließen sich schließlich tschechische Firmen zu Finanzspritzen überreden.

Die Kritiker des Rennens aber konnten durch alle noch so beruhigenden Worte nicht überzeugt werden. „Vier-Pfoten“-Geschäftsführer Helmut Dungler sagt, daß die vom Veranstalter durchgeführten „Änderungen am Todesparcours nicht mehr als kosmetische Eingriffe“ seien. Beispielsweise sei nicht die Tiefe des Taxisgrabens ausschlaggebend, sondern die Weite. „Der Graben liegt hinter einer Hecke. Vom Absprung bis zur Landung müssen die Pferde acht Meter überwinden“, erklärt der Tierschützer. Und so habe denn auch das Qualifikationsrennen vor einigen Wochen noch drei Opfer gefordert. „Panisch vor Schmerzen, versuchte ein Pferd mit gebrochenem Bein zu fliehen“, erzählt Dungler, der mit 500 weiteren ÖsterreicherInnen angereist ist. Keine von ihnen wird sich den heutigen Wettlauf anschauen: Sie wollen die Veranstaltung nicht mit ihrem Eintrittsgeld unterstützen. Noch zwanzig Minuten. Weiße Luftballons steigen zum Himmel über Pardubice. „Stop Steeplechase!“ lautet die Aufschrift. Am Haupteingang wird es unruhig. Etwa 2.000 Tierschützer aus Österreich, Deutschland, England und Tschechien rufen ihren Protest aus und werden von ein paar Reitsportlern beschimpft.

„Gewaltsame Aktionen wird es nicht geben“, sagt Peter Bergmann, Sprecher der Prager Gruppe „SOS Animals“. „Die Bilder auf der Rennbahn sprechen für sich selbst.“ Schon im Vorfeld hatte der Prager Pferdetrainer Roman Vitek erklärt, daß wegen der harten Anfordungen „kein Pferdebesitzer seine besten Vierbeiner in Pardubice an den Start gehen läßt“. Gute Pferde, so Vitek, gehen nach Frankreich.

Franz von Thurn und Taxis kommt seit 20 Jahren nach Pardubice. „Das Rennen kenne ich schon aus Erzählungen meiner Großeltern“, sagt der adlige Bayer. „Natürlich hat es seit dem ersten Rennen im Jahre 1874 zahlreiche Malheurs gegeben, doch das war vor allem zur Zeit der Kommunisten. Sie haben viel zuviel Pferde an den Start gelassen.“ Herr von Thurn und Taxis beruft sich auf seine Erfahrungen. Schließlich habe er bereits ein Buch über die Geschichte des Rennens geschrieben. Nur eines weiß er nicht genau: Warum der mörderische Graben den Namen seiner Familie trägt.

Zehn Minuten vor dem Start: Die letzten Einsatzfreudigen blättern den Buchmachern das Wettgeld auf den Tisch. Vor der Tribüne zeigen zwei Männer noch eine kurze Showeinlage mit mehrspännigen Kutschen. Acht Reiter haben ihre Tiere „wegen leichter Verletzungen“ vor einigen Tagen vom Wettkampf zurückgezogen. Nun sind es noch neun Rennpferde, die jetzt in die Bahn geführt werden. Nervös trippeln sie im Kreis. Eines trägt eine orangefarbene Kapuze.

Versteinert schauen die Jockeys vor sich hin. In Gedanken scheinen sie noch einmal den Parcours zu durchlaufen. Sieben Kilometer ist die Strecke lang, 31 Hindernisse sind zu überwinden. Dem Sieger winken 500.000 Kronen. „Die Pferde sind ideal vorbereitet“, sagen die Experten. Und die Zuschauer können es nun kaum noch abwarten: Väter schultern ihre Kinder, Jugendliche klettern auf Leitern, um besser sehen zu können. Am Start scharren die Pferde unruhig im Gras. Ein Signal ertönt. Alle stürmen los. In rasendem Tempo ziehen die Vierbeiner an den Zuschauern vorbei. Auch die Ansagerin spricht plötzlich so schnell, als wolle sie den Jockeys Konkurrenz machen. Drei Hindernisse haben die Pferde überwunden. Auf der Geraden in Richtung Taxisgraben zieht sich der Pulk leicht auseinander. Ganz vorne ein russischer Reiter. Wild peitscht er auf seinen Rappen ein. „Er ist zu schnell“, kommentiert noch die Ansagerin, als das Pferd auch schon auf der anderen Seite des Grabens mit Kopf und Knien aufknallt. Auch das zweite stürzt, das dritte, das vierte. Vorwurfsvoll erklärt die Stimme aus dem Lautsprecher, daß der Russe für alle Unfälle am Taxisgraben verantwortlich sei.

Pferde und Reiter liegen auf dem Boden. Zeigt sich so die gute Vorbereitung? Der erste Krankenwagen fährt los. Fünf Pferde haben den Taxisgraben geschafft. Das Tempo wird gedrosselt. Die Gruppe verschwindet hinter einem Wald. Plötzlich taucht das Pferd mit der orangefarbenen Kapuze auf – herrenlos rennt es über den Platz. Und dann geht es Schlag auf Schlag: Nach kurzer Zeit sind nur noch vier Pferde im Rennen, dann drei, und auf der Zielgeraden galoppieren schließlich noch zwei. Die Besucher fiebern dem Sieger entgegen. „Farad, Farad, Farad“! schreit eine Gruppe vor dem Zaun. Doch Farad fällt mehr und mehr zurück. Das Pferd kann kaum noch laufen, ist zu Tode erschöpft. Der Jockey gibt auf. Unter Tränen sagt er: „Ich fühle mich schrecklich wie niemals zuvor.“

Rigoletto heißt der Sieger. Libor Stenzel, der 35jährige tschechische Jockey, sagt: „Es war ein Märchen, auf einem so gut vorbereiteten Pferd zu reiten. Rigoletto sprang sensationell über den Taxisgraben.“ Die Menge jubelt. In der VIP-Lounge fließt der Champagner. Da setzt auch schon die tschechische Nationalhymne ein. Auf den Tribünen erheben sich befriedigte Gäste und feiern den einzigen, der das Ziel erreicht hat.

Vor den Toren der Rennbahn gedenken Tierschützer der Verlierer. Vier Reiter mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden, einer davon bewußtlos. Kein Pferd kam sofort zu Tode, doch die Wunden und Verletzungen sind an mehreren Händen nicht abzuzählen. Auch Hobbymaler Stanislav Busek ist inzwischen klar: „Wenn Pferde schreien könnten, hätte es heute ein ohrenbetäubendes Konzert gegeben.“ Doch solange Menschen an der grausamen Etappe Gefallen finden, geht das russische Roulett im tschechischen Pardubice weiter.

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