: Gott ist tot. Und der Regisseur?
■ Spiel im Spiel, Theater im Theater: „Keine Gnade“ für Jo Fabians Tanzstück im Theater unterm Dach
Ja, was hat sich der Fabian da ausgedacht, „das Schwein“? So klagt der „Tanzsturmführer Schmidt“, als er erkennen muß, daß die Rolle, die ihm zugedacht wurde, in Wahrheit bitterer Ernst ist. Ist die ganze Welt nun Theater, oder ist sie es nicht?
Oder vielmehr: Ist Theater bitterer Ernst und der Regisseur nur imaginär? Die Menschen auf der Bühne glauben zunächst an ihn, den Abwesenden und über alles Herrschenden, und quälen sich ganz fürchterlich in einem „Tanzlager“ voller Hakenkreuze, brutaler Befehle und faschistischer Witze: Ist ja nur ein Spiel. Oder eben auch nicht. Gott ist tot und der Regisseur auch. Der Regisseur ist in diesem Fall Jo Fabian, und er vermag der abgedroschenen „Die Welt als Bühne“-Metapher einiges abzugewinnen in seinem Stück „Keine Gnade“, aber leider: nicht genug.
Der dumme Glaube, man könne Privates und Politisches, Spiel und Ernst voneinander trennen, soll hier mit bösem Blick seziert werden. Doch daß man der intelligent verschachtelten Handlung immer unwilliger zusieht, liegt vor allem an den Tanzeinlagen der vier geklonten Tanzgirls. Das Einfallslose soll nicht nur dargestellt werden – die Darstellung selber ist einfallslos. Und das ist fatal. Erzählt wird die „wahre Geschichte vom ersten opportunistischen Widerstandsballett“. Das Paradox vereinigt sich in der Ausstattung der vier Tänzerinnen: Rote Dirndlkleider und weiße Rüschenblusen werden konterkariert durch martialisch schwarze Ledergürtel mit Pistolenhalfter. Geprobt wird die totale Unterwerfung, Widerstand ist zwecklos: Was man auch macht, es ist immer falsch, denn es ist immer richtig.
Jede Bewegung, mit der die Mädchen aus der Rolle fallen und sich dem „Tanzsturmführer“ verweigern wollen, wird von ihm im nachhinein als sein Befehl und Wille umgebogen. Es gibt kein Entrinnen. Doch die Instrumentalisierung, die vorgeführt werden soll, findet gleichzeitig statt. Daß man mit Bewegungen etwas erzählen, beschwören und verdichten kann – an diesem Abend könnte man es glatt vergessen. Immer wieder werden klischierte Bewegungsabläufe militärisch vorexerziert. „Liebe, Liebe“, schreien die Mädchen und werfen sich von einer Pose in die andere. Wenn die vier Tänzerinnen, während der Mann von Abtreibung redet, auf dem Boden liegen und in verschiedensten Variationen die Beine weit öffnen und wieder schließen, so ist es das einzige Mal, wo Bewegung eine – wenn auch plakative – eigenständige Bedeutung erhält.
Wäre nicht ausgerechnet der Tanz selber das Thema, wäre das nicht ganz so schlimm. So aber ist der Versuch, Schauspiel und Tanz miteinander zu verbinden, besonders eindringlich auf Kosten des Tanzes gescheitert. Michaela Schlagenwerth
Jo Fabian: „Keine Gnade“, heute, morgen und vom 20. bis 22. Oktober um 20 Uhr im Theater unterm Dach, Dimitroffstraße 101, Prenzlauer Berg
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