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Teuflische Vermischungen

Das Böse von der Leinwand lassen: Film im Film – eine Retrospektive im „Checkpoint“-Kino  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Nichts sei so überflüssig und leblos wie eine Kunst, die sich mit sich selber beschäftigt, sagen die einen; irgendwie ließe sich gar nichts mehr erzählen, und die Sprache könne nur noch mit sich selbst spielen, lamentieren die anderen.

In beiden Fällen tut man so, als wären Welt und Kunst, Realität und Fiktion, Arbeit und Freizeit sauber voneinander getrennte Bereiche, die nichts miteinander zu tun hätten, und ignoriert, daß gerade die diskursiven Kunstformen keine schmalbrüstige Sekundärversion der Wirklichkeit sind, sondern sich ganz eigenständig als Teil der Welt neben die Welt stellen und ihre Rolle dabei immer schon reflektiert haben. Am ausgeprägtesten ist diese Reflexion wahrscheinlich im Film. Wenn man die Grenzen weit stecken würde, könnte man wohl die meisten Werke der Filmgeschichte in einer „KinoKino“-Reihe zeigen. Das Checkpoint-Kino hat sich für 13 Filme entschieden, die das Kino aufs vielfältigste zu ihrem Thema gemacht haben.

Naturgemäß – denn sie zehren ja von der teuflischen Vermischung diverser Wirklichkeitsebenen – verwenden Horrorfilme recht gerne den Film im Film, um darauf zu bestehen, daß das Böse nicht Fiktion ist, wie die unbedarften Protagonisten denken, sondern ganz wirklich. Der Film im Film funktioniert dabei ähnlich wie der Traum im Traum, der sich als Aufwachen tarnt, um den ersten Traum der Lüge zu bezichtigen. Gerne wiederholen Horrorfilme die Situation des wirklichen Zuschauers im Film und lassen das Böse von der Leinwand oder auch aus dem Fernseher in die Wirklichkeit treten. (Argentos „Dämonen“; „Nightmare on Elm Street“, Cronenbergs „Videodrome“ et cetera). Dort, also im Kino bei den wirklichen Menschen, richten sie meist ein übles Blutbad an. „Im Augenblick der Angst“ (Bigas Luna; '86) handelt von einem Augenliebhaber, der von seiner Mutter hypnotisch ferngesteuert wird und seiner grausamen Sammelleidenschaft zunächst noch im Film- im-Film frönt, den sich die Schülerinnen Linda und Patty interessiert anschauen. Doch dann geht's rund. Der vielbödige spanische Thriller ist sicher einer der spannendsten Horrorfilme der letzten zehn Jahre.

Der durchgedrehteste ist William Castle's „The Tingler“. Der „Tingler“ ist ein komisch-ekliges Monster, das ein bißchen an einen Blinddarm erinnert. Ins Leben gerufen wird er sozusagen durch eine Koproduktion: Er wächst mit der Angst, die der Kinozuschauer beim Horrorfilmgucken entwickelt. Wenn man ganz laut schreit, wird er wieder schüchtern, unbeholfen und verschwindet. Castle, einer der sardonisch grinsenden Urväter des „billigen“ Horrorgenres, trieb die Vermischung von Fiktion und Realität übrigens ziemlich weit. Bei der Uraufführung des Films ließ er kleine batteriebetriebene Monster durchs Kino krabbeln.

In dem bemerkenswert pazifistischen, fast amerikafeindlichen „The Blob“ (übrigens ein Remake des gleichnamigen Steve McQueen-Films von 1958) kommt das Monster – eine rosaschillernde, gallertartige Masse, geformt aus seltsamen Teenagerphantasien – von der Kinodecke, um die Zuschauer eines Kettensägenfilms anzugreifen. Im Publikum finden sich zwei kleine Jungs, denen Mutti natürlich den Kinobesuch verboten hatte. In Bogdanovichs zitatreichem Debüt „Bewegliche Ziele“ (1968) trifft Boris Karloff bei der Premiere eines Gruselfilms auf einen Wahnsinnigen, der im Kinosaal Amok läuft.

Während Horrorfilmer bemüht sind, die Distanz zwischen Abbild und Wirklichkeit zu vernichten, schaut Wim Wenders melancholisch auf die Kluft zwischen Film und den eignen Weltgefühlen. Das schmale Konzept des inzwischen leider Vergreisten, die eigene, narzistisch verklärte Welterfahrungs- und Erzählunfähigkeit zum beherrschenden Thema zu machen, trägt zumindest noch „Im Lauf der Zeit“ (1975), der außerdem noch ausgiebig über die Lage des Kinos klagt. Über das Verschwinden des kleinen Kinos trauern gleich drei Filme des Programms. Sehr sympathisch, mit fast zu schönen Bildern erzählt „Coming up Roses“ (Stephen Bayly) von der Schließung eines Kinos in einer arbeitslosenreichen walisischen Bergarbeiterstadt. „Wenn man uns das Kino wegnimmt, gibt es hier gar nichts mehr“, heißt es, doch der Filmvorführer Trevor und die Eisverkäuferin Mona verzweifeln nicht. Statt dessen versuchen sie sich mit einer ziemlich haarsträubenden Pilzzucht, die sie im Vorführsaal beginnen, zu retten. Was aus dem wirklichen „Kinomann“, dem thüringischen Landkinovorführer Siegfried Scheuerl, geworden ist, den der Rüsselsheimer Filmemacher Thomas Frickel 1990 in seinem schönen, doch leider etwas zu kurz geratenen Kurzfilm porträtiert hat, ist nicht bekannt. 30 Jahre jedenfalls hatte er mit seinem Moped Filme und viel Freude „für ein paar Quietscher“ auf die Dörfer gebracht. Da Filmkunst nicht mehr lief, hoffte er – wie viele DDR-Kinomacher – nach der Wende vergeblich auf „Josefine Mutzenbacher“ und ähnliches.

Luc Moullet pflegt in „Die Sitze im Alcazar“ (1989) eine spezifisch französische, elegante Form der Melancholie, die mehr die unwiederbringliche Vergangenheit des enthusiastischen Filmfreundes betrifft als den Kinotod. Der beiläufig-ironisch erzählte Film spielt in den fünfziger Jahren. Guy, Filmkritiker der Cahiers du cinema geht regelmäßig ins „Alcazar“, ein Vorortkino, „in dem der Besitzer, ohne es zu wissen, das beste Programm von Paris machte“. Immer in den vorderen Kinderreihen schaut er sich Filme von Vittorio Cottafavi an, den er für den Größten hält, legt sich mit Kassiererinnen und Polizisten an, streitet sich – sympathisch pubertär und sehr verliebt – mit der hübschen Kritikerin vom Konkurrenzblatt über Antonioni – „ein Stümper“ – und wird von einem anderen Mädchen verführt. Der angenehm wehmütige Film besticht durch liebevolle Details und sympathische Fummelszenen.

Ein Wiener Filmhochschulfilm verdient es, besonders hervorgehoben zu werden. „Himmel oder Hölle“, ein stiller, experimenteller, poetisch-essayistischer Spielfilm von Wolfgang Murnberger, der sehr wenig mit den affektierten Attitüden sonstiger studentischer Versuche zu tun hat, vereinigt die verschiedensten Aspekte des Themas. Auch hier geht es um Wirklichkeit und Fiktion, Spiel und vor allem um das Sehen – um verbotene und erlaubte Blicke. „Dös ist Kino – unser Kino. Mein Vater ist der Vorführer, meine Mutter verkauft die Eintrittskarten, meine Großmutter verkauft Zuckerl, und ich, ich bin der Kartenabreißer.“ Der Sohn einer kleinstädtischen Kinofamilie ist vom Kino infiziert. Im Kinderzimmer verbrennt er Plastiksoldaten, um die Filmbilder zu wiederholen, oder sprengt auch schon mal die elektrische Eisenbahn. Beim Indianerspielen imitiert er Django und schießt mit Pfeil und Bogen auf das Auge seines Freundes, der die Waffen längst gestreckt hatte und in Zeitlupe immer wieder eine Wiese herabrollt: „Gott vergibt – Django nie“, heißt es unter seiner wunderbar rührenden Kinderzeichnung, doch in der Spielwirklichkeit braucht man nur bis hundert zählen, um wieder aufstehen zu können.

Das Kino ist ein fragiles Zwischenreich. Es ist gleichzeitig Fiktion, Wirklichkeit und vor allem auch das Ziel zarter Pubertätswünsche. Emsig sammelt der Junge die Schnipsel erotischer Filme oder öffnet die Umschläge, in denen die Ankündigungsbilder der Sexstreifen stecken. Behutsam entfernt er die schwarzen Streifen, die über dem nackten Fleisch kleben, um sich an nackten Frauenbrüsten satt zu sehen. Versteckt im Vorführraum schaut er ein paar Augenblicke einem richtigen Sexfilm zu und flieht dann doch ein wenig verstört ins überwältigend helle Tageslicht. Die verstörendsten Bilder finden sich allerdings nicht in verrohenden Kinofilmen, sondern in der dokumentierten Wirklichkeit, in der der Junge unberührt zuschaut, wie Schweine und Rinder geschlachtet werden, und selber irgendwann ein Rinderauge ausschneidet und es gegen die Sonne hält. Da schaut man dann selbst als splattergewohnter Filmegucker schnell weg.

Vielfältig ist die Welt der Kino- Kino-Streifen; eine Szene allerdings kommt in fast jedem der Filme vor: Irgendwann verheddert sich der Film im Projektor, die Protagonisten auf der Leinwand verschwimmen, das Filmmaterial schmilzt, das Licht geht aus. Entweder tritt nun das Böse aus dem Horrorfilm in die Wirklichkeit des Kinosaals, oder der Vorführer macht sich ans Kleben.

„KinoKino“ im Checkpoint; Leipziger Straße 55, 10117 Berlin; täglich bis 31. Oktober (siehe Programmteil)

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