Kommentar
: Medien und Alltagsbewußtsein

■ Die Rolle des Steuermanns

Daß die Inhalte dessen, was die Medien täglich aufbereiten und dem verehrten Publikum servieren, Einfluß auf das Denken und Handeln dieser Personen hat, liegt auf der Hand. Schwierig ist es dennoch, zu „beweisen“, daß dies so ist. Die Ergebnisse der Untersuchung „BrandSätze“ können hier weiterhelfen.

Interviewt wurde eine Anzahl deutscher Bürgerinnen und Bürger, die in ihrer sozialen Zusammensetzung einen soliden Querschnitt der derzeitigen (städtischen) weißen, deutschen Bevölkerung darstellen. Sie äußerten einen Katalog von insgesamt dreißig Vorurteilen, die sich alle ohne Ausnahme in den Medien wiederfinden. Dort werden sie nur zumeist verhaltener geäußert. Der Einfluß der Medien wurde dabei nicht selten von den Interviewten selbst hervorgehoben. Immer dann, wenn die Richtigkeit des Gesagten daran gemessen wird, daß es ja schließlich auch in der Zeitung stand oder im Fernsehen gesendet wurde.

Dies erklärt auch, weshalb es möglich ist, daß sich direkte Parallelen zwischen den Themen zeigen, die in den Interviews und zur gleichen Zeit in den Zeitungen angeschlagen wurden. Teilweise fanden sich in den Interviews Passagen, die wortgetreu das referierten, was tags zuvor in der Bild-Zeitung oder in den regionalen Zeitungen zu lesen war.

Solche Übereinstimmungen können bereits als Hinweis auf den enormen Einfluß der Medien bei der Herausbildung und Verfestigung der Vorurteile beziehungsweise rassistischen Einstellungen in der Bevölkerung gelten. Der Hinweis erhärtet sich, wenn wir die sprachlichen Wendungen, mit denen solche Vorurteile vorgetragen wurden, genauer betrachten. Dann stellen wir fest, daß die Vorurteile in der Alltagssprache häufig durch sogenannte „journalistische Schlüsselwörter“ vermittelt werden.

Damit sind solche Begriffe und Wörter gemeint, die nicht zur „normalen“ Sprache des Alltags gehören, die aber dennoch relativ häufig vorkommen. Da ist dann die Rede von der „Diskriminierung der Frau“, von der „Identität“ der Deutschen oder der Türken, von der anderen „Mentalität“ der EinwanderInnen und Flüchtlinge, von ihrer „Kultur“, die bestimmten „Kulturkreisen“ zugeordnet wird – um nur einige zu nennen.

Diese Begriffe werden von den Interviewten gerade an den Stellen genutzt, wo es darum ging, einen für ihn/sie komplizierten Sachverhalt kurz und knapp zu erklären. „Die Ausländer haben halt eine andere Mentalität.“ Der Begriff der Mentalität, zumal in aller Munde, macht eine Hinterfragung, was denn diese Mentalität eigentlich ausmache, scheinbar unnötig, denn er spricht für sich.

Ähnliches gilt für den Begriff der „anderen Kultur“. So wird zum Beispiel gesagt, die EinwanderInnen sollten durchaus „ihre Kultur“ beibehalten, doch sie sollten deutsch sprechen und europäische Kleidung tragen. Dies weist darauf hin, daß der Begriff Kultur als „Füllwort“ genutzt wird für etwas, von dem man eigentlich nicht weiß, was es ist. Der Mediendiskurs hält solche griffigen Formulierungen und Wendungen parat, deren sich dann die Interviewten bei Bedarf bedienen.

Auch die sprachlichen Bilder, die die SprecherInnen verwenden, um Ab- und Ausgrenzungen zu markieren, lassen auf ihre Entlehnung aus dem Mediendiskurs schließen. Auch hier spielt die kollektive Symbolik eine wichtige Rolle, die in ihrer Logik dazu führt, Angst- und Bedrohungsgefühle zu erzeugen: „Fluten bedrohen uns“, „Dämme müssen errichtet werden“, „eine Giftsuppe kocht hoch“ und so weiter.

Solche sprachlichen Bilder und Symbole legen es nahe, daß die Ausgrenzungen der EinwanderInnen und Flüchtlinge mit latenten Handlungsbereitschaften einhergehen. Damit ist nicht nur die Inkaufnahme und Einforderung von struktureller staatlicher Gewalt gemeint, wie dies bei der Abschiebung der Fall ist. Man will unter Umständen selbst Hand anlegen, um die Ausländer loszuwerden. Die Beifallsbekundungen der Bürgerinnen und Bürger in Hoyerswerda, Rostock und andernorts sind deshalb nicht überraschend.

Haben wir es hier doch mit einer Manipulation des Alltagsbewußtseins durch die Medien zu tun? In der Tat sind die Medien eine ganz wesentliche Vermittlungsinstanz in der Gesellschaft. Doch sie schaffen den alltäglichen Rassismus nicht alleine. Eine Einbahnstraße von den Medien hin zum Alltagsbewußtsein gibt es nicht. Selbstverständlich nehmen die Medien alltäglicheres Denken auf, sie spitzen es zu und reproduzieren auf diese Weise solche Haltungen. Alltags- und Mediendiskurs begegnen einander, wobei allerdings die Rolle des Steuermanns von den Medien übernommen wird. Joachim Pfennig