: BrandSätze und SchlagZeilen
In der Diskussion um die Ursachen für den um sich greifenden Rassismus sind die Medien bislang zuwenig beachtet worden ■ Von Margaret und Siegfried Jäger
Vielfach wird gesagt, Medien gäben schließlich nur das wieder, was in der Realität geschieht. Diese Sichtweise erfaßt jedoch nur eine Funktion der Medien. Der Mediendiskurs bildet jedoch Realität nicht nur ab, sondern er ist „echte Realität“. Durch die Art und Weise, wie die Medien schreiben, liefern sie ihren KonsumentInnen gleichsam eine Applikationsvorlage (ein Vor-Bild). Sie beeinflussen auf diese Weise massiv Bewußtsein und Handeln.
Auch wenn der Mediendiskurs nicht der einzige Lieferant solcher Applikationsvorgaben ist, so ist er jedoch ein ganz entscheidender Faktor: eine zentrale Vermittlungsinstanz von Tatsachen und Meinungen in der Gesellschaft. So produzieren Medien den alltäglichen Rassismus zwar nicht alleine, doch sie nehmen alltägliches Denken auf, spitzen es zu und reproduzieren solche Haltungen von Tag zu Tag immer wieder aufs neue.
Bereits seit den späten 70er und frühen 80er Jahren können wir in den Medien eine merkwürdige terminologische Aufspaltung beobachten, wenn dort von Flüchtlingen die Rede ist. Seit dieser Zeit geistert die Bezeichnung „Asylant“ durch fast alle Medien. Was hat es mit dieser neuen Wortschöpfung auf sich?
Der „Asylant“ ist, so der Sprachwissenschaftler Jürgen Link, ein „Killwort“. Es werden fast nur die Flüchtlinge damit bezeichnet, die aus Ländern der sogenannten Dritten Welt in die BRD kommen. Für Menschen aus Osteuropa wird weiterhin der Begriff „Flüchtling“ angewendet. Durch diese Terminologie wird eine Aufspaltung in gute, berechtigte Flüchtlinge und schlechte, nicht berechtigte Flüchtlinge vorgenommen.
Die Flüchtlinge, das sind die politisch Verfolgten, von denen es nur wenige gibt. „Asylanten“, das sind die Massen, die uns bedrängen, die angeblich mit dem Grundgesetz Mißbrauch treiben. Der Spiegel hat diese unterschiedlichen Zuschreibungen in seiner Titelstory vom 9.9.1991 (Nr. 37) prägnant ausgeführt. Dort heißt es: „Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten – Ansturm der Armen“.
Dabei ist von Bedeutung, daß hier das soziale Problem der Flucht ausgegrenzt wird. Dies kann sich (auch) deshalb so vollziehen, weil dort das Wort „Asylant“ mit seiner Endung „ant“ bei der deutschen Bevölkerung negativ ankommt. Worte, die mit dieser Endung abschließen und Personen bezeichnen, rufen fast ausnahmslos negative Bilder hervor. Asylant – das erinnert an Querulant, Simulant, Symapthisant ...
Mit einer solchen Begriffsaufspaltung wird in den Medien eine Hierarchisierung der Flüchtlinge vorgenommen. So wird z.B. in der bereits erwähnten Spiegel-Story der Terminus „Asylant“ immer dort verwendet, wo Zweifel an der Richtigkeit der genannten Fluchtursachen angemeldet werden.
Hier soll nicht behauptet werden, der Begriff „Flüchtling“ habe bei vielen Deutschen einen positiven Klang; mit der Aufspaltung in „Asylant“ und „Flüchtling“ wird jedoch die negative Einstellung noch einmal zu Lasten der sogenannten „Asylanten“ verstärkt.
Der Begriff „Asylant“ wird in den Medien häufig in Verbindung mit anderen Symbolen gebracht. Dabei hat die Flutmetapher eine herausragende Bedeutung. Fast überall lesen wir von der „Asylantenflut“ oder vom „Flüchtlingsstrom“, den es „einzudämmen“ gelte.
Besonders auffallend hat der Spiegel dies ins Bild gesetzt. Auf dem Titelbild der Nummer 37/91 sehen wir ein hoffnungslos überfülltes Boot, das gleichzeitig auf die Arche Noah anspielt. Hier ist es das „Schiff“, das gleichzeitig auch als „unser Dorf, unsere Stadt“ oder „unser Haus“ gelesen werden kann, das in der Gefahr steht, überflutet zu werden.
An diesem Titelbild läßt sich das Funktionieren sogenannter kollektiver Symboliken sehr gut darstellen. Sie sind für den Leser leicht zu codieren. In der Asyl-Debatte wurden und werden in den Medien für diejenigen, die in die Bundesrepublik einreisen, vornehmlich solche Symbole gebraucht, die diesen Personen keinen Subjektstatus gewähren. Sie werden mit Ungeziefer wie Ratten, Ameisen u.a., Stürmen, Fluten oder auch Giften codiert, während für die Innenwelt steuer- und regelbare Symbolserien verwendet werden: Deutschland oder Europa ist ein Haus, ein Schiff, ein Flugzeug, ein Auto etc. Durch den regelmäßigen Einsatz solcher kollektiver Symboliken entsteht bei den RezipientInnen fast zwangsläufig ein Bedrohungsgefühl, das geradezu danach verlangt, sich zu schützen. Das Boot ist voll und deshalb: Schotten dicht! So erklärt sich, warum die Asyldebatte in der Bundesrepublik mit derartigen Emotionen geführt wird.
Zur Flut- und Boot-Metaphorik kommen in den Medien militärische Symbole hinzu. Wer die Berichte und Kommentare zu diesem Themenkomplex liest, fühlt sich oftmals an Kriegsberichterstattung erinnert. So etwa wenn die WAZ einen Artikel mit der Überschrift aufmacht: „Flüchtlinge sammeln sich an den Grenzen Westeuropas“ (8.8.91); andere Zeitungen berichten über die „Abwehr illegaler Einwanderer“ und beschwören, daß sich die „Lage an den Ostgrenzen verschärft“ habe (Welt vom 3./4.8.1991); da ist im Zusammenhang mit Flüchtlingen von der „Einfallsroute“ und vom „Hinterland“ die Rede (FR). Maßnahmen, mit denen weitere Einwanderungen verhindert werden sollen, werden als „Rückschlag“ (WAZ) bezeichnet, zu dem die EG sich angesichts der zunehmenden Flüchtlingszahlen gezwungen sehe.
Der Effekt solcher Symbole ist: Flüchtlinge und Einwanderer werden zur militärischen Bedrohung, zur feindlichen Armee, die die Bundesrepublik belagert.
Eine weitere Verknüpfung finden wir dort, wo Flüchtlinge und Einwanderer in Verbindung mit der Flut-Metaphorik in den Zusammenhang von Schleppern und Schleusern gestellt werden. Die Einreise von Flüchtlingen stellt sich auf diese Weise wie das Einschleppen gefährlicher Krankheiten dar.
Ein besonders drastisches Beispiel hierfür hat uns die Bild-Zeitung (v. 26.9.91) geliefert: In einem Interview mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei wird dieser nach einer „Asylantenpolizei“ gefragt. Seine Antwort: Diese brauche man ebensowenig wie eine „Aids-Polizei“.
All diese Beispiele zeigen, daß die verschiedenen Symbole nicht voneinander isoliert funktionieren, sondern in einem engen Zusammenhang stehen. Die Bundesrepublik wird als ein Territorium dargestellt, dessen BewohnerInnen von außen durch unberechenbare, chaotische Zustände bedroht, belagert und infiziert werden.
Genau hier ist das Moment auszumachen, mit dem die Medien dazu beitragen, bei den Menschen im Lande Handlungsbereitschaft auch zur Gewalt zu erzeugen bzw. die Haltung, diese Gewalt zu akzeptieren.
Diese Notwehrsituation ergibt sich allein aufgrund der bildlichen Logik, die die verwendeten Symbole nahelegt. Die gewalttätigen Gruppen, die angesichts dieser Formulierungen in den Medien zur Tat schritten, müssen sich durch die Berichterstattung und Einschätzungen der Medien (und Politiker) dazu geradezu aufgefordert fühlen. Das erklärt auch mit, warum die TäterInnen von Hoyerswerda, Hünxe, Rostock, Mölln, Solingen und anderswo ihre Taten auch damit rechtfertigten, sie seien nur die Vollzieher dessen, was der größte Teil der Bevölkerung will und die Politiker sich nicht zu tun trauen.
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