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Ministermord verschärft Haiti-Krise

■ Justizminister Malary auf offner Straße erschossen / Armeechef tritt nicht zurück / USA erwägen Seeblockade

Port-au-Prince/Washington (AFP/wps/taz) – Die Krise in Haiti hat sich durch ein Attentat auf den Justizminister Guy Malary weiter verschärft. Malary wurde am Donnerstag mittag zusammen mit seinem Fahrer und seinen beiden Leibwächtern im Stadtzentrum von Port-au-Prince erschossen, als Bewaffnete seinen Wagen unweit des Justizministeriums anhielten und das Feuer eröffneten. Augenzeugen sahen später die Leichen mehrere Stunden lang auf der Straße liegen, während Bewaffnete um das umgedrehte Auto herumstanden und ein Polizist einem Reporter erklärte, es habe „keine Zeugen“ gegeben. Unklar ist, ob die Toten beim Beschuß des Autos ums Leben kamen oder auf der Straße hingerichtet wurden.

Es war der erste Anschlag auf ein Mitglied der haitianischen Interimsregierung unter Robert Malval, die gemeinsam mit einer UNO-Mission für einen geordneten Übergang vom Militärregime des Armeechefs Raoul Cédras zur Wiederherstellung der Demokratie Ende Oktober unter dem zur Zeit noch exilierten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide sorgen soll. Malary, ein bekannter Rechtsanwalt, war für die Ausarbeitung eines neuen Gesetzentwurfes verantwortlich, der zur Bildung einer neuen, nicht mehr vom Militär kontrollierten Polizei führen sollte. In dieser Funktion war er auch für die Ausbildung der etwa 200 zivilen UNO-Menschenrechtsbeobachter auf Haiti zuständig. Er hatte vor einigen Wochen den militärfreundlichen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes, Emle Jonaissant, von seinem Amt enthoben. Jonaissant hat sich bisher geweigert, seinen Stuhl zu räumen – verfassungsmäßig würde er das Amt des Präsidenten übernehmen, sollte Aristide ebenfalls einem Anschlag zum Opfer fallen.

Der Mord an Malary ereignete sich pünktlich zur Ankunft von US-Präsident Clintons Haiti-Berater Pezzullio in Port-au-Prince und wenige Stunden vor Ablauf der vereinbarten Frist für den Rücktritt des Armeechefs Cédras und des Polizeichefs von Port-au- Prince, Michel François. Cédras hatte zuvor seinen Rücktritt von der Verabschiedung einer neuen Amnestieregelung durch das Parlament abhängig gemacht. Anhänger des Militärs stürmten kurz nach dem Mord das Parlamentsgebäude und nahmen kurzzeitig mehrere Geiseln. François lehnte in einer konfusen Radioansprache einen Rücktritt ab. Am Montag wollen die Aristide-Gegner wieder einen „Generalstreik“ erklären.

Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Mord am Donnerstag abend einstimmig als „niederträchtigen Akt“. Die UNO plant nach den Worten des Sicherheitsratspräsidenten Ronaldo Sardenberg aber keine weiteren, über die Resolution vom Vortag hinausgehenden Maßnahmen. Am Mittwoch hatte sie den haitianischen Militärs ein Ultimatum bis nächsten Dienstag zur Einhaltung der Demokratievereinbarungen gegeben, andernfalls würden neue Sanktionen in Kraft treten. Donnerstag früh wurden 51 kanadische Polizisten, die im Rahmen der UNO-Mission bereits vor einer Woche in Haiti stationiert waren, „vorläufig“ ausgeflogen.

UNO-Generalsekretär Butros Ghali sagte jedoch, die UNO werde jetzt ihre Anstrengungen „verdoppeln“, um die Rückkehr von Frieden und Demokratie auf Haiti zu erreichen. Der Haiti-Sonderbeauftragte der UNO, Daniel Caputo, meinte, die Militärmachthaber auf Haiti hätten „die Brücken hinter sich abgebrochen“. Ein Sprecher von Armeechef Cédras, Serge Beaulieu, forderte im Gegenzug den Rücktritt des „unreifen“ Caputo und ein Treffen zwischen Cédras und dem Sicherheitsrat.

US-Präsident Clinton nahm Beratungen mit Militärs über eine mögliche Seeblockade Haitis auf, um die Sanktionen zu überwachen. Nach Einschätzungen von Militärkreisen bedarf es nur weniger Fregatten, um Haitis einzigen größeren Hafen in Port-au-Prince abzuriegeln; die Landgrenze zur Dominikanischen Republik wäre schwerer zu kontrollieren. D.J.

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