■ Ökolumne: Privatisierung der Natur Von Hiltrud Breyer
„Vielfalt der Natur – ein wertvolles Erbe“ lautet das Motto des diesjährigen Welternährungstages. Die belgische EG-Präsidentschaft instrumentalisiert diesen Tag zur Förderung der GenTech-Industrie. Mit ihrem heutigen Symposium „Landwirtschaftliche Gentechnologie zur Sicherung der Ernährung“ empfiehlt sie die Chemiemultis als Retter der biologischen Vielfalt.
Bereits heute stammen 95 Prozent der Nahrung in den Industrieländern von lediglich 30 Pflanzensorten. Fast stündlich stirbt eine Pflanzen- oder Tierart aus, Umweltzerstörung und Vernichtung der Regenwälder tragen zur Erosion der genetischen Vielfalt bei. Die Gentechnik verspricht neue Vielfalt durch die Anwendung ihrer Methoden und die Einleitung einer „Zweiten Grünen Revolution“. Sie degradiert die biologische Vielfalt zu ihrem Rohmaterial. Gentechnik bedient sich am „wertvollen Erbe“ der Natur wie in einem Baukasten und läßt sich das Ergebnis als „geistiges Eigentum“ patentrechtlich schützen. So ließ sich der Chemieriese Hoechst ein Patent auf alle Pflanzen erteilen, die gegen das firmeneigene Totalherbizid Basta resistent gemacht werden.
Die Vermarktung genmanipulierter Lebensmittel steht unmittelbar bevor. Ungekennzeichnet sollen uns bald Schweineschnitzel mit menschlichem Wachstumsgen und lebende Pestizide in Form der genmanipulierten Tomaten aufgetischt werden. Durch Freisetzung genmanipulierter Tiere und Pflanzen produzieren Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie neuartige ökologische Risiken. Der Karpfen, der mit Forellenwachstumsgenen manipuliert wurde, verändert seinen Futterbedarf und kann durch Verdrängungsprozesse das gesamte Gewässerökosystem schädigen. Pflanzen können Genmaterial auf Raubmilben und Mikroorganismen übertragen. Schäden können erst nach Jahrzehnten erkannt werden – doch einmal freigesetzte Organismen sind nicht rückholbar.
In dieser Woche fand in Genf die erste Konferenz über die Konvention von Rio zur biologischen Vielfalt statt. Auf Druck der Gentechnikindustrie wollen USA und EG der Konvention eine „interpretative Erklärung“ anfügen, die vor allem die Patentierbarkeit von Genmaterial aus der Dritten Welt sichert. Die Rio- Konvention würde dadurch in ihr Gegenteil verkehrt: Statt des Schutzes der biologischen Vielfalt der Schutz der GenTech-Industrie.
Wenn in alle Pflanzen oder Tiere die immergleichen Wachstumsgene, Herbizidresistenzgene, Insektengifte oder Virenschutzgene eingebaut werden, wird ein qualitativ neuer Schub zur Monokultur ausgelöst. Bald werden die führenden Chemie- und Saatgutmultis einige wenige genmanipulierte Pflanzensorten gleich im Doppelpack mit „ihrem“ Pestizid anbieten. Das Ergebnis: höherer Chemieeinsatz, höhere Preise für Saatgut, genetische Uniformität. Einige wenige Multis werden zu Eigentümern der Gene und Spezies, auf denen die Welternährung aufbaut. Diese Privatisierung der Natur bedeutet die Kontrolle über die schwindenden genetischen Ressourcen der Welt und zugleich eine neue Form der Kolonialisierung des Südens. Durch Patente für westliche Konzerne wird die Dritte Welt der Ergebnisse jahrhundertelanger Kultivierung und Züchtung durch SubsistenzbäuerInnen beraubt, die Abhängigkeit von Agro- und Chemiemultis verstärkt. Kakao, Vanille, Kaffee sollen künftig in den gentechnischen Labors der Industrieländer herangezüchtet werden. In der Dritten Welt machen BäuerInnen, Gewerkschaften und Umweltorganisationen gegen diese verhängnisvolle Entwicklung mobil.
Auch die EG muß jetzt handeln. Der Verzicht auf genmanipulierte Lebensmittel und auf eine EG-Patentierungsrichtlinie würden beweisen, daß die EG noch nicht zur Zweigstelle der GenTech-Industrie verkommen ist. Der Rat der Europäischen Gemeinschaft muß die Biodiversity-Konvention ohne Wenn und Aber, ohne „interpretative Erklärung“ ratifizieren. Alles andere wäre Wortbruch, wäre die Zerstörung selbst der bescheidenen umweltpolitischen Fortschritte von Rio. Nur der Erhalt der biologischen Vielfalt kann die Welternährung sichern.
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