: „Wahl Rußlands“ tagte ohne Jelzin
■ Unterstützung des Reformkurses bleibt Programm
Moskau (taz) –Boris Jelzin kam nicht zum Gründungskongreß des Wahlblocks „Wybor Rossii“, er distanzierte sich sogar von dem „Block der demokratischen intellektuellen Elite“. Denn, so sein Pressesprecher, der Präsident betrachte sich als einen Vertreter des gesamten Volkes. Die neuen russischen Liberalen aus dem Blockvorstand, die gleichzeitig hohe Posten in der Regierung Jelzins bekleiden, wollen selber nicht zu einer Taschenpartei des Präsidenten degradieren.
Ziel des neuen Wahlblocks ist dennoch die Unterstützung der Reformen des Präsidenten. „Wybor Rossii“, zu Deutsch „Die Wahl Rußlands“, wirbt mit dem Slogan „Freiheit – Eigentum – Recht“. Er wurde im Juni auf Jegor Gaidars Initiative hin gegründet und sollte „die Interessen derer vertreten, die während des Aprilreferendums Jelzins Reformkurs unterstützt hatten“. Außer der Bewegung „Demokratisches Rußland“, der „Partei der freien Wirtschaft“ oder „Militärangehörige für Demokratie“ schlossen sich auch eine Reihe Minister dem Bündnis an.
Die Atmosphäre der Tagung erinnerte an Kongresse US-amerikanischer Großparteien: Popsänger, Buffets und Knabenchor samt Glockenspiel, und das alles gratis. Aber können sich die zersplitterten demokratischen Kräfte überhaupt auf eine gemeinsame Plattform einigen? Die Mitglieder der Bewegung „Demokratisches Rußland“ haben sich an derartige offizielle Veranstaltungen nicht gewöhnen können. Ihre Tagungen zeichneten sich immer durch eine gewisse Neigung zur Anarchie aus.
Grundsätzlich bewegt sich die Diskussion zwischen zwei strategischen Polen: Der Leiter der Administration des Präsidenten, Filatow, strebt ein möglichst breites Bündnis an. Sergej Kowaljow vom „Demokratischen Rußland“ machte seine Zustimmung zum gemeinsamen Vorgehen dagegen von einem klaren politischen Handlungsprogramm abhängig. Sicher ist, daß „Wybor“ nach den Wahlen viele Sitze in der „Duma“, dem russischen Parlament halten wird. Am zweiten Tag des Kongresses kämpften die Demokraten um Positionen auf gemeinsamen Listen so heftig, daß das „Demokratische Rußland“ drohte, den Block zu verlassen.
Mit anderen demokratischen Parteien, die auf eine Teilnahme verzichtet haben, tat sich der Block weniger schwer. Noch vor dem Gründungskongreß hatte man sich darauf verständigt, in den Wahlbezirken mit nur einem Sitz einen gemeinsamen Kandidaten zu nominieren. Dort, wo Vertreter über Parteilisten gewählt werden, stellen die „Russische Bewegung demokratischer Reformen“ unter Leitung des Moskauer Ex-Bürgermeisters Popow und die neugegründete Partei der regionalen Eliten um Vize-Premier Schachrai eigene Leute auf.
Von Seiten der Reformgegner geht für Jelzins Wahlblock keine Gefahr aus. Die kommunistische und nationalistische Opposition ist zerschlagen und in sich zerstritten. Sollte ihr Verbot aufgehoben werden, reicht die verbleibende Zeit kaum, um ihre Kräfte zu sammeln. Ein Teil ihrer Stimmen – nach Meinungsumfragen an die 15 Prozent – wird wohl die „Demokratische Partei Rußlands“ gewinnen. Ihr steht der betont volksnahe Nikolai Trawkin vor.
Jelzins Distanzierung von dem „elitären Block der Intellektuellen“ stellt keine politische Wende dar. Typisch für seine Politik ist, daß populistische Sprüche nicht ernst zu nehmen sind, sondern als Vornewegverteidigung radikaler Reformmaßnahmen dienen. So kündigte Jegor Gaidar auf dem Kongreß an, „schwierige Entscheidungen“ in der Wirtschaft würden noch vor Wahlen getroffen, da sie keinen Aufschub duldeten. Jelzin verfolgt bisher das Ziel, eine möglichst breite Wählerschaft zu erreichen. Daher mied er den Kongreß, um nicht mit einer politischen Strömung gleichgesetzt zu werden. Boris Schumatsky
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