: Kritik am Notwehr-Totschlag in Steilshoop
■ Polizeieinsatz war verfrüht und riskant / Hackmann stellt sich hinter Beamte
Einen Tag nach dem Tod des Besetzers des polnischen Konsulats wird Kritik am Einsatz der Polizei laut. Der 28jährige Pole Robert Korcz, der den Neubau in Steilshoop mit einer Handgranate bewaffnet über 14 Stunden besetzt gehalten hatte, war am Dienstag nachmittag von MEK-Beamten überwältigt und durch zwei Schüsse in den Oberkörper so schwer verletzt worden, daß er eine Stunde später im Krankenhaus starb. Korcz wollte mit polnischen Behördenvertretern sprechen, weil er wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von umgerechnet 300 Mark verurteilt worden war.
Innensenator Werner Hackmann stellte sich gestern in der NDR-Hamburg-Welle hinter das Vorgehen der Beamten. Der „Zugriff“ sei notwendig gewesen, weil zu befürchten gewesen sei, daß Korcz mit der Granate bewaffnet das Gebäude hätte verlassen und Polizisten und andere Umstehende in Gefahr bringen können. „Der Mann war in einem Aggressionszustand, der nicht mehr unter Kontrolle zu bringen war“, sein Verhalten sei zum Schluß „unkalkulierbar“ gewesen, erklärt auch Polizeisprecher Werner Jantosch gegenüber der taz.
Die Beamten hätten sich zu dem Einsatz entschlossen, als die Situation am Nachmittag eskalierte und der stark angetrunkene Pole Möbelstücke aus dem Fenster geworfen habe. Korcz sei außerdem einmal mit der Handgranate im Innenhof herumgelaufen. Kurz nach 17 Uhr betrat der Mann den Balkon und legte die Granate auf der Brüstung ab, um einen Schluck aus einer Sektflasche zu nehmen, die er im Gebäude gefunden hatte. In dieser Situation, so Jantosch, hetzten die Beamten einen Hund auf den Mann, mit dem Ziel, ihn abzulenken, sich auf ihn zu stürzen und ihn festzunehmen. Doch Korcz griff nach der Granate, die Beamten sahen sich bedroht und schossen.
Die Entscheidung, den Hund in den Raum zu hetzen, war falsch, da erstens riskant und zweitens verfrüht, kritisiert nun der innenpolitische Sprecher der GAL, Manfred Mahr. Die Situation hätte auch noch 15 Stunden so weitergehen könnnen, denn „irgendwann wären dem Mann die Beine weggesackt.“ Da der Pole ursprünglich allein im Gebäude war, hätte er höchstens Sachschaden anrichten oder sich selbst in die Luft jagen können. „Das Gebäude war weiträumig abgesperrt, man hätte den Mann sich in Ruhe betrinken lassen sollen“. Auch hätte man die Verhandlungen wieder aufnehmen können. Schließlich war um 16 Uhr das Flugzeug mit einem Diplomaten aus Polen gelandet, mit dem Krocz zu sprechen verlangt hatte. Auch sei bekannt, daß das „Ausrasten“ in Wellenbewegungen funktioniert, „der Mann wäre wieder zur Ruhe gekommen.“
Mahr, Polizeibeamter und bis vor kurzen Sprecher der Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten, glaubt, daß die Situation gekippt war und der Einsatzleiter die Sache einfach hinter sich bringen wollte. Eine menschlich verständliche Reaktion, die einem Profi aber nicht passieren dürfte. „Die Polizei muß die Situation beherrschen und nicht umgekehrt.“
Fragen, die einer Antwort harren, gibt es reichlich: Warum hatten die MEK-Beamten Zeit genug, zu beobachten, ob der Mann die Flasche aus der Hand legt, ob er die Granate wieder in die Hand nimmt, daß er eine ausholende Bewegung macht. Aber keine Zeit, auf die Beine zu zielen? Kaija Kutter
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