: Große gegen Kleine: „Ganz normal“
■ Mitschüler zeigen viel Verständnis für 15jährigen, der Schwächeren auf Fensterbank drückte / Zurück in der Schule
Nach einer Nacht in Polizeigewahrsam konnte der 15jährige Schüler Michael V. gestern in seine Schule in Friedrichshain zurückkehren. Wie berichtet, soll er am Freitag versucht haben, seinen 13jährigen Mitschüler Björn D. aus einem Klassenfenster im ersten Stock zu stoßen. Die Staatsanwaltschaft wollte ihn in einer Erziehungsanstalt unterbringen, aber der Haftrichter ließ ihn frei. Justizsprecher Rautenberg sagte zur Begründung, Michael V. habe ein intaktes Elternhaus, das auf ihn einwirken werde, und habe versichert, so etwas nicht wieder zu tun. Die Schulaufsicht hat entschieden, daß der Junge in die Nachbarklasse versetzt werden soll.
Michael V. und Björn D. besuchten die 7. Klasse einer Gesamtschule. Michael V. ist zuvor zweimal sitzengeblieben und seinen Klassenkameraden körperlich deutlich überlegen. Im ersten Polizeibericht zu dem Vorfall hieß es, Björn habe in fünfeinhalb Metern Höhe in der Luft gehangen und sich mit den Fingern krampfhaft am Fenstersims festgehalten. Mit Faustschlägen auf die Hände von Björn habe Michael versucht, ihn zum Loslassen zu zwingen. Erst als ein Lehrer vorbeigekommen sei, habe Michael Björn wieder in den Raum gezogen. Inzwischen haben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft jedoch ergeben, daß Björn nicht in der Luft hing, sondern mit dem Rücken zum Raum auf dem Fensterbrett saß und sich dort festklammerte.
Wie Volksbildungsstadträtin Marianne Tietze (Bündnis 90) erklärte, verfügt Michael V. über eine „geringe Toleranzschwelle und intellektuelle Insuffizienz“. Michael V.s Familie sei „formal“ zwar intakt, die Mutter habe auf den Jungen aber kaum noch Einfluß. Er sei in der Vergangenheit schon mehrfach wegen Gewalttätigkeiten aufgefallen, allerdings noch nie in so einem Ausmaß. Deshalb sei auch eine Kollegin des schulpsychologischen Dienstes eingeschaltet worden. Seit Michael V. im Sommer in die Klasse gekommen sei, habe es zwischen ihm und Björn Spannungen gegeben. Der 13jährige Björn habe sich in der Klasse keiner allzu großen Beliebtheit erfreut. Besonders Michael habe ihn häufig gehänselt und drangsaliert. Tietze versicherte, der Vorfall werde in der Klasse von einer sehr kompetenten Lehrerin aufgearbeitet. Über das weitere Schicksal von Michael sollte gestern abend die Gesamtkonferenz befinden. Die Schulleitung habe sich gegen eine Schulversetzung ausgesprochen. Einige gestern von der taz befragten Mitschüler machten aus ihrer Abneigung gegen Björn keinen Hehl. Er sei ein Streber und versuche sich bei den Lehrern „einzuschleimen“. Daß der Große auf den Kleinen losgegangen sei, sei nicht unfair, sondern unter Jugendlichen normal, „wenn der käsig wird“. Außerdem, so ein Mitschüler unverblümt, habe Björn ja nur auf dem Fensterbrett gesessen: „Das geht ja noch. In einer anderen Schule ist mal einer an einem Balken aufgehangen worden.“ Plutonia Plarre
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