Vermeintliche Nachteile

■ betr.: „Energie mit Schönheits- fehlern“, taz vom 8.10.93

[...] Der Artikel von Michael Berger zählt nur – vermeintliche – Nachteile auf.

So zitiert er die Energieversorger, die vorrechnen, daß man 3.300 Quadratkilometer mit Solarmodulen belegen müsse, wenn man den Strombedarf der Bundesrepublik (alt) aus Photovoltaik decken wolle. [...] Erstens muß für eine auch nur halbwegs ökologische Stromversorgung zunächst einmal der Strombedarf auf die Hälfte gesenkt werden. Es ist Konsens, daß dieses Ziel erreichbar ist. Damit halbiert sich die nötige Fläche auf 1.650 Quadratkilometer. Zweitens hat niemand – mit Ausnahme der Energieversorger – behauptet, der gesamte Strombedarf müsse aus reiner regenerativer Energieform gedeckt werden. Vielmehr werden wir einen intelligenten Mix anstreben. Der Anteil der Photovoltaik an einem solchen Mix wird bei höchstens einem Drittel liegen. Damit reduziert sich die benötigte Fläche auf gerade mal 550 Quadratkilometer. Dem stehen dann die erwähnten 2.800 Quadratkilometer Dachfläche gegenüber. Kein Quadratmeter Land muß versiegelt werden!

Auch die angegebenen Zahlen über die Energierücklaufzeiten sind stark veraltet. Offensichtlich bemüht der Autor eine Studie der Forschungsstelle für Energiewirtschaft aus dem Jahre 1988. Fünf Jahre sind seither vergangen. In dieser Zeit hat sich gerade bei der Photovoltaik viel getan. Eine aktuelle Studie im Auftrag der EG (W. Palz, H. Zibetta, Energy payback time of Photovoltaik Modules, International Journal of Solar Energy (1991) Vol. 10, 3/4) kommt zu ganz anderen Ergebnissen. Danach liegt die Energierücklaufzeit einer kompletten PV-Anlage bei 3,5 Jahren, Tendenz fallend. Die Lebensdauer liegt nach übereinstimmender Expertenmeinung bei mindestens 25 Jahren, eher höher. Der Autor erweckt dagegen mit seiner Formulierung von der „erhofften Lebensdauer von zehn bis 35 Jahren“ den Eindruck, daß die Lebensdauer auch viel niedriger liegen kann. Dem ist entgegenzuhalten, daß die ältesten Solarmodule,die heute noch in Betrieb sind, bisher ein Alter von 15 Jahren erreicht haben und störungsfrei arbeiten. Bedenkt man, daß diese Module vor 15 Jahren mit einer Technik hergestellt wurden, die bei weitem nicht die Qualität der heutigen Produktion hatte, so wird jedem klar, daß die Lebensdauer von 25 Jahren als gesichert angesehen werden kann, zumal die Modulherstellung im Prinzip nichts anderes als die Herstellung einer simplen Verbundglasscheibe ist, die bereits seit über 50 Jahren hergestellt werden.

Auch bezüglich des Stands der Technik zitiert der Autor (ur)alte Zahlen. Einen Wirkungsgrad von 13 Prozent findet man heute nur noch bei Solarmodulen aus der Ramschkiste. Typischerweise werden Module mit einem Wirkungsgrad von etwa 15 Prozent verkauft. Aber auch Module mit Green-Zellen und einem Wirkungsgrad von etwa 18 Prozent, nach Ansicht des Autors noch gar nicht auf dem Markt, werden ihm mit Sicherheit von jedem halbwegs gut bestückten Solarhändler gerne verkauft. Die anderen angesprochenen Zellen befinden sich tatsächlich noch im Stadium der Entwicklung. Von der Idee bis zur Marktreife vergehen bei jeder Technik nun einmal Zeiträume von zehn bis zwanzig Jahren. [...]

Bedauerlicherweise wird dann beim Themenkomplex „Giftstoffe“ alles durcheinandergeworfen. Dies ist um so bedauerlicher, als daß man hier in der Tat mit viel Neugier und kritischem Nachfragen vorgehen muß, um Fehlentwicklungen aufzuzeigen und zu unterbinden. Vor allem muß man streng trennen zwischen den Hilfsstoffen, die zur Herstellung der Solarmodule verwendet werden, und den Substanzen, aus denen die Solarzellen bestehen. Silizium als Grundstoff der Zellen ist ungefährlich, während man das vom erwähnten Gallium-Arsenid oder Cadmium-Tellurit nicht unbedingt behaupten kann. Allerdings muß man auch die Stoffmengen berücksichtigen, die zum Einsatz kommen, denn die sind bei den giftigen Stoffen extrem gering (Dünnschicht-Zellen). Auf diesem Gebiet ist noch einiger Klärungsbedarf vorhanden. Ganz anders verhält es sich bei den Hilfsstoffen. Neben den vom Autor erwähnten Säuren und Gasen (von denen nur ein kleiner Teil toxisch ist) kommen noch Laugen und Lösungsmittel zum Einsatz. Bei all diesen Hilfsstoffen handelt es sich um hochreine Substanzen, die vor allem zur Oberflächenbehandlung eingesetzt werden. Diese Stoffe können durchaus bis zu 1.000 DM pro Liter kosten. Es dürfte somit jedem klar sein, daß mit diesen Stoffen nicht gerade verschwenderisch umgegangen wird. Um die Kosten halbwegs im Griff zu behalten, müssen diese Stoffe ständig wiederverwendet werden. Damit sind auch die Stoffmengen, die auf die Produktion jedes einzelnen Moduls entfallen, sehr gering. [...] Philippe Welter, Mitglied des

Solarenergie-Fördervereins,

Düren

Oh Gott, was haben wir nur falsch gemacht? Da bauen wir uns eine Solaranlage, die den kompletten Haushalt inklusive Elektroauto mit Strom versorgt und dabei noch 40 Prozent Überschuß pro Jahr liefert, der verkauft wird. Wir werden mit ein paar technischen Problemen fertig. Wir verhungern nicht ob der immensen Kosten, und das, ohne uns einer umfangreichen Erbschaft zu erfreuen. Wir bilden uns ein, durch Kombination von Elektrofahrzeug und Solartechnik auf Dauer einen Vorteil für die Umwelt zu erreichen, verglichen mit dem Neukauf eines „normalen“ Kleinwagens, und haben noch nicht einmal Skrupel, angesichts unserer notleidenden Industrie staatliche Fördergelder von insgesamt etwa 50 Prozent zu kassieren!

Aber es gibt ja die taz und Herrn Berger, denen wir wohl mehr vertrauen dürfen als unserer Erfahrung. Die Solaranlage wird demnächst als Sondermüll entsorgt (wahrscheinlich nicht problemlos), das Elektromobil dem Grünen Punkt anvertraut, und ich werde meinen Job kündigen und als Spätbekehrter bei der RWE oder der KWU den neuen, todsicheren Reaktor mitbauen.

Wir wären Herrn Berger sehr dankbar, wenn er dem Arbeitskreis Solartechnik Südpfalz als unabhängiger Berater zur Verfügung stünde, um weitere derartige Pleiten zu vermeiden. Wolfgang Babanek, Frankweiler

[...] Die Lösung der Energiefrage lautet nicht 100 Prozent Photovoltaik, sondern Energie sparen und den Rest mit erneuerbaren Energien (Sonne, Wind, Wasser, Biomasse) decken. In Anbetracht der beschränkten Energiereserven der Erde und des Treibhauseffektes ist das Festhalten an der jetzigen Energiepolitik der Dolchstoß für Mensch und Umwelt. Rudolf Langer, Kempten

[...] 1. Die angeblich hohen Kosten für Solarstrom sind ein typisches Totschlagargument. Sonne, Wind und Wasser sind nicht nur nicht teuer, sondern kostenlos. Die Sonne schickt uns keine Rechnung. Und Biomasse ist preisgünstig. Schon heute ist Solarstrom wirtschaftlicher als Atomstrom. Der umweltfreundliche Solarstrom aus Photovoltaik-Anlagen kostet in USA und Israel etwa 40 Pfenning, in Deutschland 1,70 DM und Windstrom in Schleswig-Holstein 25 Pfennig. Atomstrom aber müßte, nach einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums, 3,60 DM pro Kilowattstunde kosten, wenn die AKW realistisch versichert wären. Vergessen wir nicht: Die erste Kilowattstunde Atomstrom hat Milliarden Dollar gekostet.

2. Eine Studie der englischen Regierung sagt: Zehn Prozent der Häuserflächen reichen aus, um die gesamte Insel mit Solarstrom zu versorgen. Die niedersächsische Landesregierung ließ errechnen, daß der gesamte Stromverbrauch des Landes mit Windkraftanlagen in Küstennähe gedeckt werden könnte.

3. Das Landwirtschaftsministerium in München geht davon aus, daß bei sparsamerem Verbrauch in etwa zehn Jahren sämtliche Autos in Bayern mit Biosprit aus nachwachsenden Rohstoffen „vegetarisch“ betrieben werden könnten – umweltfreundlich und preisgünstig. BMW-Studien bestätigen diese Erkenntnis.

Richtig ist freilich: Diese Rechnungen gehen nur dann auf, wenn künftig die Energiesparpotentiale genutzt und Energie effizienter als heute produziert wird. Die Energiewende ist die Schlüsselfrage im Superwahljahr 1994.

Frage an Michael Berger: Wenn Solarenergie eine „Energie mit Schönheitsfehlern“ ist, was ist dann Energie aus Atom, Kohle und Öl? Franz Alt, Baden-Baden