Todesursache: Angst

■ Plädoyers im Gomondai-Prozeß in Dresden / Der „Prozeß der Merkwürdigkeiten“ läuft auf Freispruch hinaus

Dresden (taz) – Ein halbes Jahr vor Hoyerswerda: Der Alltag für die wenigen AusländerInnen der Stadt wird zunehmend gefährlich. Beinahe täglich werden Mosambikaner- und VietnamesInnen auf der Straße beschimpft, bedroht und angegriffen. Linke Cafés und besetzte Häuser sind Ziel nächtlicher Überfälle. Die Täter agieren als „Kameradschaften“, die einer gelähmten oder gleichgültigen Öffentlichkeit ihr rassistisches Weltbild vorhalten. Die Polizei hat mit sich selbst zu tun, die Politiker in der Landeshauptstadt schweigen. Dresden gilt als „neue Hauptstadt der Bewegung“.

Wer über den seit fünf Wochen laufenden Gomondai-Prozeß spricht, muß an dieses Klima der Angst und des alltäglichen Terrors erinnern. Für die juristische Bewertung der Tat, in deren Folge der Mosambikaner Jorge Gomondai am 6. April 1991 verstarb, ist das freilich ohne Belang. Nach den Aussagen von fast 60 ZeugInnen stellt sich der tödliche Sturz aus der fahrenden Straßenbahn der Verteidigung als „tragischer Unglücksfall“ dar, für den niemand zur Verantwortung gezogen werden kann.

Die Beweislage ist so schlecht, wie die Ermittlungen schlampig waren. So mußte Staatsanwalt Jörg Klein bei seinem gestrigen Plädoyer einräumen, daß Gomondai wohl nicht aus der Bahn gestoßen oder geworfen wurde. Klein geht davon aus, daß Gomondai von der in die Bahn stürmenden Gruppe Jugendlicher eingeschüchtert und tätlich angegriffen wurde. Gomondai wollte fliehen und stürzte dabei aus der Bahn. Den drei Angeklagten, Walter B., Alexander W. und Torsten R., macht er den dürftigen Vorwurf, sich an der Einschüchterung beteiligt zu haben. Mehr war, allen Zeugenaussagen zufolge, nicht drin.

Der Staatsanwalt beantragte ein Jahr und 3 Monate Jugendstrafen auf Bewährung für Torsten R. und Walter B. Für Alexander W., der noch in der gleichen Nacht einen Straßenpassanten krankenhausreif geprügelt hatte, beantragte er ein Jahr und 6 Monate ohne Bewährung.

Die Anwälte plädierten erwartungsgemäß für Freispruch. Nachdem sie mit ihrem Antrag auf Verfahrenseinstellung keinen Erfolg gehabt hatten, warfen sie den Ermittlern nun vor, sich aus der mit „etwa einem Dutzend“ beschriebenen Gruppe drei Alibi-Angeklagte herausgegriffen zu haben. Ermittlungsverfahren gegen acht weitere Tatverdächtige waren im Laufe der zweieinhalb Jahre eingestellt worden; die Betroffenen brauchten nur noch als Zeugen aufzutreten und sich nicht zu erinnern. Anwalt Christian Fischer sprach von einem „Prozeß der Merkwürdigkeiten“, der unter einem „starken Mediendruck“ gestanden habe. Seinen Mandanten Alexander W. sieht er weder der Prügelei noch einer Straftat in der Straßenbahn überführt. Anwalt Schille umschrieb die dürftige Beweislast mit einem „altrömischen Rechtsgrundsatz: Ein Zeuge ist kein Zeuge.“ Entweder hätten alle in der Bahn befindlichen Personen angeklagt werden müssen, oder, des „tragischen Unglücks“ wegen, eben niemand.

Prozeßbeobachter diskutieren seit längerem den Verdacht, daß die Falschen vor dem Richter gesessen haben und daß der Tod Gomondais wohl nie aufgeklärt wird. Das Urteil wird kommenden Freitag erwartet. Detlef Krell