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Ende eines Mythos: Japans Autoindustrie macht schlapp, und die Tokioter Automesse kommt ganz brav daher. Die Gewinne von Toyota und Mazda brechen alle Minusrekorde. Und die Krise hat erst begonnen. Aus Tokio Georg Blume

Nippons Sonne sinkt

Draußen am Hafen von Tokio, wo die blausilbernen Türme der Finanzunternehmen längst die Docks und Kräne des Industriezeitalters ersetzt haben, zieht eine altmodische Veranstaltung alle zwei Jahre immer wieder Millionen Gäste aus aller Welt an. Die Tokio-Motor-Show ist bereits 39 Jahre alt und die größte Automesse in Asien. Ob VW-Piäch oder Mercedes-Werner, ob Ford- Chef oder Chrysler-Präsident, am heutigen Eröffnungstag haben die Großen der Branche ihr Sektglas in Tokio zu schwingen. Zumal ihnen die Konkurrenz von Toyota bis Nissan in diesem Jahr ein ganz besonderes Rendezvous gibt: Die Ausländer dürfen Zeuge eines beispiellosen japanischen Sonnenuntergangs sein. Für Japans Wirtschaftszeitung Nihon Keizai wird die 30. Tokio-Motor-Show seit 1954 das „Ende des Wachstumsmythos der japanischen Autoindustrie“ markieren.

Gemessen an der Party-Euphorie der Motor-Show vor zwei Jahren erinnert die diesjährige Messe eher an ein braves Jahrmarkttreiben. Die Formel-1-Wagen fehlen, und auf den besten Plätzen stehen statt protziger Sportcoupés bescheidene Stadtwagen. Einen baskischen Besucher hält freilich auch das nicht ab, schon am Morgen mit einer kleinen japanischen Kamera nach links und rechts zu fotografieren. Auf frischer Tat ertappt, stellt er sich als José Ignacio Lopez de Arriortua vor und stellt fest: „Hier ist nichts mehr wie früher. Die Japaner haben ihre Strukturprobleme erkannt, die Stimmung ist sehr besorgt.“

Zeichen der Zeit: Nippons Firmen preisen auf der Motor-Show ihre Modelle mit dem kleinsten Hubraum an. Der Testwagen MUM500 von Mitsubishi soll die Rückkehr des Fiat500 in japanischer Ausführung versprechen. Nissan stellt das AQ-X Salonauto vor, innen so groß wie ein Mercedes der S-Klasse und außen so klein und sparsam wie ein Golf. Doch die ausgestellte Sparsamkeit kann kaum verdecken, wie tief die japanischen Renommierbetriebe in der Krise stecken. Jeder Anstieg der japanischen Währung um einen Yen gegenüber dem Dollar kostet die japanische Autoindustrie einen Jahresverlust von derzeit 765 Millionen Mark. Der Yen ist in diesem Jahr um zwanzig Punkte gegenüber dem Dollar gestiegen: das ergibt 15,3 Milliarden Mark Verlust. Doch die Krise in Japan hat gerade erst begonnen.

Kaum eine andere Industrie in einem anderen Land hat seit den Tagen Henry Fords die Wirtschaftsgeschichte so nachhaltig geprägt wie Japans Autobranche. Noch immer lag ihr Weltmarktanteil 1992 bei 26,8 Prozent annähernd so hoch wie der deutsche und amerikanische Anteil zusammengenommen (13,9 und 16,2 Prozent). Fast alle wesentlichen Erneuerungen für die gesamte herstellende Industrie, von der lean production bis zum Just-in-time- Management, von der Robotisierung bis zur Gruppenarbeit, wurden während der letzten zwei Jahrzehnte zuerst in den Fabriken von Toyota, Nissan und Honda eingeführt und als rentabel erprobt. So erklärt sich das Schlagwort „Toyotismus“; amerikanische Wissenschaftler sprachen von einer „Zweiten Revolution in der Autoindustrie“.

Doch was gestern noch galt, ist heute überholt. Wie können Unternehmen für andere Beispiel stehen, deren Industrie für den Rest des Jahrhunderts eine Wachstumsrate von einem Prozent und eine jährliche Überkapazität im Produktionsvolumen von 1,5 Millionen Fahrzeugen vorausgesagt wird? Nichts anderes prophezeite kürzlich ein „schockierender Bericht“ (Nihon Keizai) über die japanische Autobranche in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, verfaßt von der Industrial Bank of Japan und der Mitsubishi Bank. Statt mit Innovationen und Investitionen, denen andere bisher nacheifern konnten, werden sich Toyota und Nissan von nun ab wie alle anderen Autokonzerne der Welt mit Einsparprogrammen, Produktvereinfachung und Stellenkürzungen beschäftigen.

Denn die Verkaufszahlen in Japan brechen alle Minus-Rekorde. Seit zweieinhalb Jahren geht der Umsatz der Autohändler beständig zurück; nichts deutet auf eine Wiederbelebung des Marktes hin. Der Präsident von Mazda hat errechnet, daß die Hersteller derzeit auf jedes verkaufte Modell in Japan einen Preisnachlaß von durchschnittlich 3.000 Mark gewähren.

Die Krise stellt nun auch herkömmliche Industriestrukturen in Frage. Bisher konnte in Japan jeder Großkonzern auf hierarchisch gestaffelte Zuliefergruppen zurückgreifen (Keiretsu-System). Durch den Druck des hohen Yen aber planen die Unternehmen nicht nur, immer mehr Fabriken ins Ausland zu verlegen, sondern auch die Teilebeschaffung im Ausland vor Ort zu niedrigeren Preisen vorzunehmen. Die Keiretsu-Verflechtungen leiden darunter wie nie zuvor. Und der Druck aus dem Ausland nimmt zu: Die US-Konkurrenz in Detroit hat inzwischen den Kostenrückstand gegenüber den Japanern aufgeholt und ist zumindest auf dem amerikanischen Markt wieder im Aufwind.

Voller Stolz präsentierte Ford in Tokio den ersten japanischen US- Import mit dem Steuerrad auf der rechten Seite, passend zum japanischen Linksverkehr. Die Zeit dafür war allemal reif, wenngleich auch Ford damit kaum mehr als ein Symbol für die neue Gleichzeitigkeit im Zeichen der weltweiten Krise lieferte.

„Falls das Schlimmste so weitergeht“, orakelt Nihon Keizai, „muß die japanische Autoindustrie ihre Vorreiterrolle für die japanische Wirtschaft räumen.“

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