: Die Erfinder mit dem kollektiven Gedächtnis
■ Eine West-Ost-Initiative versucht die alten „Erfinderschulen“ der DDR wiederzubeleben
Berühmtheiten erfinden selten allein. Jenes unvergessene Patent 296648 für ein „Verfahren zur Herstellung eines dem rheinischen Roggenschwarzbrot ähnelnden Schrotbrotes“, vom Kaiserlichen Patentamt im Februar 1917 ausgegeben, teilten sich gleich drei Männer. Einer von ihnen sollte 32 Jahre später zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden: Konrad Adenauer. Was hätte der CDU-Politiker, der im Gegensatz zu seinem herrischen Kabinettsstil späterer Jahre damals offenbar noch dem Teamgeist verpflichtet war, wohl jenen Ingenieuren und Wissenschaftlern gesagt, die gestern auf dem 2. Erfinder-Workshop in Grünau zusammenkamen?
Ost- und Westdeutsche vom „Ingenieurtechnischen Verband KDT“ aus Berlin und der „Deutschen Aktionsgemeinschaft Bildung-Erfindung-Innovation“ (Dabei) waren zusammengekommen, um eine Einrichtung mit einem seltsamen Namen wiederzubeleben: die Erfinderschulen.
„Wir sind keine Spinner oder Träumer“, sagt Rudi Höntzsch, Beauftragter der KDT-Geschäftsleitung. Der heute 66jährige Diplom-Ingenieur gehörte in der DDR zu jenen Männern, die 1981 die Erfinderschulen ins Leben riefen. Sozialistische Kreativität war gefragt: Wissenschaftler und Fachleute aus den Betrieben und Kombinaten wurden für durchschnittlich ein bis zwei Wochen in Ferienheimen zusammengebracht. Unter der Anleitung von erfahrenen Erfindertrainern erarbeiteten sie nicht nur Lösungen für knifflige Probleme, sondern erlernten auch die Methoden des Erfindens.
In der letzten Etappe der DDR habe es pro Jahr zwischen 50 und 100 solcher Schulen mit rund 10.000 Teilnehmern gegeben, erzählt Höntzsch nicht ohne Stolz. Das frühere Mitglied im Präsidium der „Kammer der Technik“ (KDT) kann sich noch gut an den Widerstand und Hochmut mancher DDR-Wissenschaftskollegen erinnern, die nicht glauben wollten, daß „Erfinden durchaus erlernbar ist“. Doch die KDT setzte sich durch – an der Technischen Hochschule in Ilmenau und der Fachschule für Schwermaschinenbau waren die Trainingskurse sogar in das Studium integriert worden. Selbst über einem Vorschlag für das DDR-Hochschulgesetz brütete die KDT – die Wende durchkreuzte jedoch die hochfliegenden Pläne. „Bis zu 30 Prozent der Teilnehmer sind aufgrund unserer Ausbildung später erfinderisch tätig geworden“, sagt Höntzsch.
Was damals gut war, muß unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen nicht unbedingt schlecht sein, meint er heute: „Wir können natürlich die ideologisch belasteten Unterrichtsmaterialien nicht mehr verwenden. Aber die Methodenlehre, die ist im Grunde genommen systemneutral und daher noch heute aktuell.“ An diesem Punkt wollen KDT und Dabei auch wieder ansetzen. „Wir müssen den Unternehmen deutlich machen, daß ihre Mitarbeiter die Grundlagen des Erfindens, bestimmte Techniken der Recherche, der Herangehensweise an Lösungen durchaus erlernen können.“ Gerade die ostdeutschen Unternehmen bräuchten den „Blick nach vorne“. Auch das einstige „kollektive Lösen von Problemen“ habe in der heutigen Marktwirtschaft noch eine Chance. Zwar werde man nicht mehr die Mitarbeiter verschiedener Unternehmen auf gemeinsamen Seminaren tüfteln lassen – dagegen stünde schon allein die marktwirtschaftliche Konkurrenz. „Warum soll es aber nicht möglich sein, innerhalb der Betriebe die Erfinderschulen einzurichten“, fragt Höntzsch. Der Ingenieur gibt sich optimistisch. Natürlich werde es noch immer Erfindungen geben, die „einem auf der Toilette einfallen“. Aber letztlich, so glaubt der Ingenieur, sei die Gruppenarbeit das Modell der Zukunft. Severin Weiland
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