Ich bin ein Pragmatist

Beatnik Carl Solomon über Ginsberg, Huncke & Co. Ein Interview  ■ Von Alfred Hackersberger und Godehard Weyerer

Carl Salomon gehörte seit Ende den 50er Jahren zur New Yorker Beatnik-Gruppe um Allan Ginsberg, Jack Kerouac und Williams S. Burroughs – erklärtermaßen als Randfigur. Als erster verlegte er Burroughs Kultroman „Junkie“, 1966 veröffentlichte er selbst. Der 65jährige starb im Februar. Hier das letzte Interview mit ihm.

taz: Ihre erste Begegnung mit Allen Ginsberg gehört zu einer der beliebtesten Beatnik-Geschichten. Stimmt diese Version?

Carl Solomon: Oh ja. Ich hatte mich im Pilgrim Hospital in New York freiwillig für verschiedene Schockbehandlungen gemeldet. Als ich nach einer sogenannten Insulin-Therapie wieder zu mir kam, stand Allen Ginsberg vor mir, ich sagte zu ihm: „Ich bin Kirillov.“ Sie wissen schon, diese Figur aus Dostojewskis „Der Besessene“. Allen antwortete, er sei Myshkin, der Held aus „Der Idiot“. Das ist die offizielle Version und die ist auch richtig.

Wann war das genau?

1949. Ich war erst 22 Jahre alt und Allen 24.

Sie waren eine der ersten Entdeckungen, die Ginsberg machte und den anderen Beats vorstellte.

Ja, ich war die erste Entdeckung von Allen. Zeitgleich mit mir lernte er Herbert Huncke kennen, den damals auch die anderen aus der Clique, also Jack Kerouac und William Burroughs, für besonders spannend hielten. Als ich Herbert zum ersten Mal traf, sah er so aus, als wäre es besser, ihm aus dem Weg zu gehen. Mein damaliger sozialer Status verbot mir einen derartigen Umgang mit Personen, die klauten, auf den Strich gingen und immer wieder ins Gefängnis kamen. Herbert war eben ein sogenanntes niederes Element der Gesellschaft. Aber mit den Jahren veränderte sich das ja. Er wurde zum Vertreter des Mainstream des amerikanischen Lebensstiles. Genau wie ich.

Obwohl Ihr Lebensstil alles andere war als der einer anständigen amerikanischen Kleinfamilie?

Das, was man heute „Zeitgeist“ nennt, hatte sich geändert. Herberts Lebensstil, seine Einstellung waren plötzlich angesagt, hip eben. Mit William Burroughs war es doch genauso. Der „Zeitgeist“ hat sie alle auf eine bestimmte Art normalisiert, obwohl sie ihrem antibürgerlichen Lebensstil nie untreu geworden sind.

Was fanden Ginsberg, Kerouac und Burroughs so spannend an Herbert Huncke?

Herbert war einer, den man bewunderte wie Jean Genet oder Jack Abott. Dieses Flair von Kriminalität, von Unterwelt, dieses Drogen- und Prostituiertenmilieu fanden sie faszinierend.

Fanden Sie es nicht genauso interessant, daß er auch schrieb?

Herberts Reputation bestand weniger darin, Schriftsteller zu sein, sondern ein raconteur. Einer, der seine Geschichten erzählte. Ich glaube, das fanden sie anfangs bei den meisten Leuten interessant, wie auch bei mir. Allen und Jack überredeten uns später dazu, zu schreiben und Schriftsteller zu werden. Ich war damals eigentlich gegen literarische Arbeiten, da ich mich für Artaud interessierte, der sagte pourant finir avec les chef d'oeuvres. Aber davon kam ich weg. Ich hatte Glück, fand Leute, die sich für meine Literatur interessierten und sie veröffentlichten. Allen und Jack waren die Organisatoren, die versuchten, Bindeglied zwischen den sogenannten einsamen Stimmen und dem Medium Buch zu sein.

Herbert Huncke und Sie waren nicht die einzigen skurrilen Entdeckungen. Ginsbergs Reisen in die Unterwelt und durch die psychiatrischen Kliniken New Yorks hatten doch Methode.

Es war eine Art Sammelleidenschaft. Allen Ginsberg und Jack Kerouac hatten den Term „IGNU“, ein ganz privater Ausdruck einer Art von Geheimsprache. Damit bezeichneten sie Leute, die in ihren Augen eine außergewöhnliche Intuition und ihrer Zeit dadurch etwas voraus hatten. Als mich Allen im Pilgrim Hospital kennenlernte, dachte er von mir, ich sei ein derartiges IGNU. Sie suchten einen neuen Menschentypus, eine neue Generation, die sich von allen bisher bekannten komplett unterschied. Zuerst entdeckten sie Huncke, dann mich. Aber Allen fand andauernd neue Leute. In den psychiatrischen Kliniken entdeckte er Dadaisten und Surrealisten, Menschen, die er in seine menschliche Trophäensammlung aufnahm. People of the new generation nannten sie die. Kerouac erklärte sich selbst zum Chronisten und schrieb die Romane für diese Generation. Und Herbert gab ihr den Namen: Beat-Generation. Ja, dieser Generationenbegriff hatte es ihnen angetan. Das hatte mit der neuen Sensibilität nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Und das gab es in anderen Ländern auch, wie beispielsweise in Frankreich den Existenzialismus. Eine weltweite Erscheinung, und die Beats waren die amerikanische Version.

Diese Sammelleidenschaft blieb die auf die Anfangsjahre des Beats beschränkt?

Eigentlich kamen ständig neue Leute hinzu, so daß man von einem feststehenden Beat-Begriff nicht mehr ausgehen konnte. Er veränderte sich, bezeichnete unterschiedliche Leute zu unterschiedlichen Zeiten. Es war eine Art von Network. Heute habe ich nicht mehr den engen Kontakt zu Allen, aber ich nehme an, er macht noch immer dasselbe wie früher: außergewöhnliche Menschen zu finden.

Waren die Beats eine literarische Gruppe, ein fester Freundeskreis oder ein loser Haufen?

Es war immer eine lockere Angelegenheit. Das stärkste verbindende Element war der gemeinsame Drogenkonsum. Ich hatte damit wenig am Hut und machte jeden verrückt damit. Ich wußte nie so recht, wie ich mich in einem Drogenmilieu verhalten sollte. Ich habe mal Pot geraucht, ein bißchen Haschisch, experimentierte einmal mit Heroin, nahm Benzedrin und habe auch eine Zeitlang sehr viel getrunken. Insgesamt habe ich ein bißchen mehr Drogen genommen als Bill Clinton. Ich hatte nie ernsthaft etwas mit Drogen zu tun. Wahrscheinlich war ich einfach zu paranoid dazu, wer weiß?

Die anderen waren aber alles andere als zurückhaltend. Wie kommt man auf die Dauer als enthaltsamer, nüchterner Mensch mit Leuten zurecht, für die Drogen das Thema Nummer eins sind?

Sie gaben mir alle möglichen Drogen, was ja für einige Zeit ganz lustig war. Ich spielte einfach die Rolle des Outsiders. Sie fanden es natürlich sehr seltsam, daß ich nicht an ihren kollektiven Rauschzuständen teilnehmen wollte. Sie sagten mir, ich sei verrückt. Etwas verunsichert fragte ich meinen Arzt, ob das möglich ist, aber der sagte mir, daß ich ganz normal sei. Prinzipiell versuche ich in meinem Leben unnötige Risiken zu vermeiden. Wie beispielsweise mit Sex heute. Wegen Aids bin ich da sehr vorsichtig geworden.

Herbert Huncke saß über zehn Jahre im Gefängnis. Haben sich die Beats, die ihn näher kannten, während dieser Zeit eigentlich um ihn gekümmert?

Nicht daß ich wüßte. Erst wieder, als er frei war. Herberts Verhältnis zu den Beats, zur Hip-Society, war immer gespalten. Er war immer der, der aus dem Rahmen fiel. Kein ungebildeter, primitiver Kerl — er hat sich immer mit der Crème der Avantgarde herumgetrieben, wenn man diesen lächerlichen Begriff überhaupt noch benutzen darf. Herbert hatte Manieren, eine gewählte Sprache und eine ungewöhnlich charmante Art. Mit ihm war stets leichter auszukommen als beispielsweise mit William Burroughs. Der hatte immer diese Hang-ups, die ihn ziemlich unzugänglich machten, auch heute noch. Außerdem hatte er ja seine ganz eigenen Theorien, von denen er kaum abwich. Soweit ich mit ihm zu tun hatte, damals, als ich sein Buch „Junkie“ im Verlag meines Onkels herausbrachte, gab es immer Probleme. Wirklich ein unbequemer, absonderlicher Zeitgenosse.

War es nicht William Bur roughs, der Herbert Huncke als erster entdeckt hatte und von ihm den ersten Morphiumschuß verpaßt bekam, als er Herbert eine abgesägte Schrotflinte verkaufen wollte?

Nein, das weiß ich nicht mehr. Ich bin kein richtiger Beat-Insider. Ich war und bin ein Einzelgänger. Seit dem Tod meiner Mutter bin ich die meiste Zeit alleine. Als ich die Beats kennenlernte, war das noch etwas anderes. Ich war ein bißchen in die Gruppe integriert und war ihren Vorstellungen entsprechend sozialisiert.

Kann man sagen, daß die Beats Ende der vierziger Jahre brave, fast unschuldige junge Männer aus wohlbehüteten Mittelklasse-Familien waren, die sich auf die Suche nach der dunklen Gegenwelt ihrer Elternhäuser machten?

So würde ich das auch bezeichnen. Behütete Kids, die sich in den Sumpf der Unterwelt begaben, voller Sehnsucht und Enthusiasmus. Sie waren interessiert an der Bebop-Sprache, Bebop-Musik, am Marihuanarauchen. Junkies fanden sie besonders toll. Alleine schon vom Aussehen her. Sie waren nur noch Haut und Knochen, ihre Gesichter sahen aus wie Totenköpfe.

War in den vierziger und fünfziger Jahren das Risiko, ein Untergrundtyp zu sein, Drogen zu nehmen oder auf den Strich zu gehen, nicht wesentlich höher als heute?

Ich weiß nicht so genau. Das Risiko war früher ein individuelles, das man eben auf sich nahm oder nicht. Heute ist das Gefühl des Risikos ein Allgemeinzustand. Keiner fühlt sich mehr sicher. Nicht in New York oder sonst wo auf der Welt. Damals konnte man sich noch geborgen fühlen, wenn man in den Vororten ein Haus besaß. Das war natürlich eine bourgeoise Solidität. Junkie oder Homosexueller zu sein war kein Kavaliersdelikt und wurde wesentlich härter bestraft. Zu der Zeit waren das Untergrunddinge, die in keiner Form politisch repräsentiert wurden.

Im Zuge der sechziger Jahre engagierten sich die Beats, vor allem Allen Ginsberg, auch politisch. Wie standen Sie dazu?

Allen war im Gegensatz zu den anderen schon immer politisch ambitioniert gewesen. Als junger Mann wollte er immer Präsident werden. Man konnte ihn nie in Kategorien einordnen. Er war stets unkonventionell, voller Widersprüche. Manchmal weiß man gar nicht, ob Allen nun links oder rechts steht. 1982 bei der Kerouac- Konferenz beispielsweise, war es für ihn kein Widerspruch, auf der einen Seite für die Sandinistas zu sein und auf der anderen Seite für den Papstfreund Lech Walesa. Ich möchte keiner Gruppe angehören. Ich möchte nichts bekennen, weder, daß ich schwul oder hetero bin noch links oder rechts. Ich bin ein Pragmatist und überlege in jeder Situation, was zu tun ist.