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Huncke. Einfach nur Huncke.

Er war das Studienobjekt der Beatnik-Literaten: der intellektuelle Halbweltler Herbert Huncke, drogenabhängig, homosexuell, autonom. Der Mann ist heute 79. Und macht, was er will.  ■ Aus New York Michaela Schießl

Um zwei Uhr nachts ist die Hitze in den Häuserschluchten von Manhattan auf dreißig Grad abgekühlt. Zeit für ein kleines Lagerfeuer, findet Herbert Huncke und stapelt Holzscheite in den 30 Quadratmeter kleinen Garten der 271 East 7th Street, Lower Eastside, New York.

Die Feuerstelle muß umsichtig gewählt sein: Nicht zu dicht am einzigen Baum des Hinterhofs, nicht zu nah an den Häuserwänden, genügend Entfernung zum Holzzaun, auf dem Hunckes Katze so gerne sitzt. Schließlich soll sein Liebling nicht ankokeln. Um die Wohnung macht er sich weniger Sorgen – obwohl es seine erste echte Bleibe ist. Ein Leben lang pendelte er zwischen Absteigen, Hotels, Scheunen, Wohnungen von Freunden – oder saß im Gefängnis. Jetzt, mit 79 Jahren, genießt er seinen festen Wohnsitz. Louis, ein 46jähriger mit dem Gesicht eines Jungen, darf mitgenießen; mit ihm teilt sich Huncke die geräumige Kellerwohnung. Und wenn's hart auf hart kommt, sogar das tägliche Rauschgift.

Das vordere Zimmer gehört dem Alten. Die Vorhänge sind geschlossen, doch Hunckes Ohr ist draußen, hart an seinem Revier, der Straße. Im Zimmer liegt die Matratze auf dem Boden, indische Stoffbilder sind an die Wand gepinnt, auf der Kommode steht Freaknippes. Das Bild eines Sonnenuntergangs lehnt im offenen Kamin.

Die Stromrechnung liegt seit Monaten ungeöffnet auf dem Kühlschrank. Miete und Formalien sind Hunckes Sache nicht. Darum kümmert sich die „Huncke Foundation“, eine Gruppe von Bekannten und Bewunderern. Teils tun die Genossen das aus Freundschaft, teils weil sie glauben, ihm was schuldig zu sein. Schließlich war Huncke jahrzehntelang ihr Studienobjekt: Der Outlaw, der Modell stand für ein völlig neues Lebensgefühl der vom Krieg gebeutelten, orientierungslosen Jugend Nordamerikas. Er war derjenige, der diesem Gefühl Namen und Sprache gab: „Mann, ich bin so fertig, so müde, so kaputt, ich bin einfach beat“, sagte er in einem Telefonat mit William S. Burroughs. Der erzählte das brühwarm den anderen angehenden Literaten aus der Clique, Allan Ginsberg und Jack Kerouac – und die Beatniks hatten ihren Namen, die Beat-Generation ihre Sprache: hip, hustler, Trip, joint, Gras, Drag. Hunckes Ausdrücke wurden in den folgenden zwei Jahrzehnten zum Erkennungszeichen der Jugendlichen, die abrechneten mit der prüden Spießigkeit des Establishments.

„Ich bin überzeugt, daß es in den letzten fünfzig Jahren niemanden gab, der so oft wie ich als literarische Figur verarbeitet wurde“, glaubt Huncke. Und wirklich: Kaum ein Beatnik-Buch ohne Herbert. Er tobte als Junkey durch Kerouacs „The town and the city“, als Ancke in John Clellon Holmes „Go“, er war Herman in Burroughs „Junkie“. Und in „Howl“, diesem berühmten und einst verbotenen Gedicht, ließ ihn Ginsberg mit blutenden Füßen durch schneeverwehte Docks laufen.

Heute trifft Huncke die Kumpane von einst nur noch selten. „Allan schaut ab und zu herein, wir quatschen ein bißchen, dann haut er wieder ab.“ Das amüsiert Huncke, denn ganz grün waren sich die beiden nie, obwohl sie sich einst gegenseitig gesund pflegten. „Heute ist Allan eben der Herr Professor“, feixt Herbert. Huncke dagegen ist schlicht Huncke geblieben. Nicht reich, nicht berühmt, keine Gallionsfigur. Einfach nur der kompromißlose, unberechenbare Huncke, der er immer war.

Das Alter hat ihn nicht verändert, nur sanfter gemacht. Seine Umgangsformen sind vollendet, seine Sprache gewählt, sein Humor tiefgründig und leicht. Verbal legt Huncke das Familiensilber auf. Und schnorrt charmanter als jeder andere.

„Am Anfang war er einer, dem man besser aus dem Weg geht“, erzählte der im Februar gestorbene Carl Solomon, der 1952 als erster Burroughs „Junkie“ verlegte. Huncke war ein Süchtiger, der sich in den Coffee-Shops des Time Square rumtrieb, sich als Stricher prostituierte, klaute, Morphium- Rezepte fälschte, mit harten Drogen dealte, hemmungslos viel Sex hatte und ständig am Quatschen war. Ein homosexueller Halbweltler, ein sogenanntes niederes Element der Gesellschaft. Doch dieser Mann mit dem geschmeidigen Gang war immer auch ein Intellektueller. Ein Überzeugungstäter, der sich absichtlich abgewandt hat von der Zwangs-Gesellschaft; einer, der sich auch nicht als Opfer seiner Drogensucht sieht. „Natürlich bin ich süchtig. Aber Drogen dienen der Bewußtseinserweiterung. Man kann mit Drogen leben. Ich kann das Gewinsel vieler Junkies nicht vertragen.“

Mit 15 Jahren setzte er sich seine erste Heroinspritze, mit 17 entfloh er dem Elternhaus. Über Chicago, New Orleans, San Francisco und Los Angeles kam er 1938 nach New York und wurde „König des Times Square“. William S. Burroughs entdeckte Huncke. Er traf ihn im Herbst 1944, als er, Burroughs, auf der Suche nach Kontakt zur Unterwelt eine abgesägte Schrotflinte und Morphium verkaufen wollte. Huncke lacht heute noch, wenn er sich erinnert: „Als der in die Wohnung kam in seinem grauen Anzug und seinem Chesterfield-Mantel, die Handschuhe in der Hand, dachte ich, der ist vom FBI, bloß raus mit dem.“ Burroughs blieb, und Huncke setzte ihm an jenem Abend den ersten Heroinschuß. Burroughs brachte ihn mit Ginsberg und Kerouac zusammen, die alle fasziniert waren vom Flair der Unterwelt, vom Milieu der Prostitution, der Kriminalität und Anarchie. „Sie waren wohlbehütet aufgewachsene Studenten, und deshalb fasziniert von mir, von meiner Art, entgegen den Normen zu leben“, sagt Huncke. Er wurde in der Avantgarde herumgereicht, befreundete sich mit berühmten Jazz-Musikern. „Billie Holliday sang in der 52. Street, ich redete oft mit ihr, ich verehrte sie. Am meisten habe ich Charlie Parker bewundert, und mit Dexter Gordon ging ich klauen. Musik ist eine große Macht. Aber es war kein bewußtes Interesse, es gehörte einfach dazu.“ Zumal die meisten Musiker drogenabhängig waren.

Als die Beatniks anfingen, über Hunckes Lebensart zu schreiben, saß ihr Modell fast zehn Jahre lang im Knast. Den großen Haß gegen die ungerechte Gesellschaft hat Huncke dabei nicht entwickelt – eine solche Nähe hat er nie zugelassen. „Ich habe gegen deren Spielregeln verstoßen, und sie haben mich dafür eingesperrt. Es war schmerzvoll, und ich hatte Angst. Aber ich mußte eben, und ich war auch neugierig. Es hat auch seine interessanten Momente: Alle dort stehen auf der anderen Seite.“ 1959 kam er wieder frei.

Huncke zu verbittern, ist gar nicht möglich. Er kann sich nur selbst enttäuschen: „Himmel, glaub mir, ich kann mich bemitleiden wie keiner auf der Welt.“ Daß die anderen berühmt geworden sind, während er saß, ärgert ihn höchstens ein bißchen. „Mir liegt nichts am Ruhm, ich schreibe, um das Hirn zu säubern. Eigentlich bin ich ein Erzähler.“ Doch er genießt es sichtlich, wenn sich noch heute 200 junge Leute bei seinen Lesungen in den Coffee-Shops drängeln.

Huncke ist angenehm eitel. Und er liebt es, tiefzustapeln. Er, der zum Anti-Helden einer Generation aufgebaut wurde, verweigert hartnäckig das Heldentum. Warum er kein Mittelständler geworden ist? „Einfach nur, weil es mir nicht gefallen hat, das ist alles. Instinkt.“

Politisch aktiv war Huncke nie, während Ginsberg sich 1968 zur Leitfigur gegen den Vietnamkrieg machte. Hunckes Lebensstil war das Politikum. „Es gibt keine Hoffnung, solange es Politik gibt. Ich habe niemals Fahnen geschwungen, egal wofür oder wogegen. Was die revolutionäre Haltung betrifft, die habe ich, seit ich auf der Welt bin.“ Massenbewegungen sind ihm suspekt, schon die Form der Manifestation widerspricht seinem Charakter. „Ich habe immer gemacht, was ich wollte.“ Und zwar, wann er wollte, unter welchen Umständen auch immer. Und meist als erster. Er war befremdet, als die Schwulen plötzlich trotzig und demonstrativ ihr Coming-out begingen. „Das war langweilig.“

Langsam ist mehr Qualm als Feuer im Hinterhof. Huncke, der Erzähler, erzählt immer noch. Es ist vier Uhr morgens, und wenn er müde wird, gibt's eine Line. Morgen wird er ausschlafen, vielleicht den ganzen Tag. „Ich habe keinen geregelten Lebensrhythmus.“ Huncke lebt wie immer. „Ich bin nur nicht mehr ganz so viel draußen.“ Doch die Jungen, die tagtäglich bei ihm vorbeischauen, halten ihn auf dem laufenden. Huncke ist immer noch Idol und bestens informiert über die Subkultur der Lower Eastside. Hier wird keiner wichtig, ohne daß er es mitkriegt, keine Mode, die er nicht kennt. „Ich liebe Kleider, ich liebe es, modisch angezogen zu sein.“ Wenn Louis sein bestes Jackett anziehen will, wird er störrisch.

„Wirklich, ich bin glücklich mit meinem Leben“, sagt Huncke und streichelt die Katze. „Ich kann dieses Leben mit einem Minimum an Konflikten leben. Ich glaube an das Lachen, ich glaube an die Suche nach Glück, ich glaube daran, Leute wissen zu lassen, daß es kein Verbrechen ist, zu lieben, zu wissen, daß Leben mehr ist als Krieg und Fahnenschwingen.“ Mit einem Mal ist die Stimmung bedeutsam. War da nicht ein Hauch Melancholie? War es das, die Message des Herbert Huncke?

Da fällt Huncke fast vom Stuhl vor Häme und Vergnügen. Da hat er sie wieder, die, die nach Formeln suchen, nach Formen. „So ein Blödsinn, ich bin doch kein Guru, ich habe keine Botschaft. Alles was ich will, ist, daß die Leuten wissen, daß es möglich ist, glücklich zu sein. Keiner ist schlecht, nur weil er in kein Muster paßt, keiner ist schlecht, nur weil er ein bißchen anders denkt, keiner ist schlecht, nur weil er nicht mit jemanden fest zusammen leben will.“

Huncke hat seine Antworten gefunden. Ehe? Treue? „Quatsch. Warum sollen andere Menschen ihre Anziehungskraft verlieren, nur weil man verheiratet ist?“

Religion? „Ich glaube an Energie. Unglaublich, wieviel Energie die Leute mit Beten verschwenden.“

Wahrheit? „Ich habe mich immer bemüht, wenig zu lügen, weil man sich ständig daran erinnern muß.“

Tod? „Ich habe keine Angst. Nur der Körper geht verloren, der Geist verwandelt sich in Energie.“

Politik? „Anarchie ist die einzige Lösung. Ich war 18, als ich das erste Mal das Wort Anarchie hörte. Als ich fragte, was das bedeutet, sagten sie mir: Das bedeutet, es gibt keine Regierung mehr. Jungen, das isses, rief ich. Das gefiel mir sehr.“ Huncke grinst angesichts seiner eigenen Naivität.

Gegen fünf Uhr morgens ist der 79jährige mit seinen Worten am Ende. „Ich bring dich zum Taxi. Es ist gefährlich hier, mitten in der Nacht. Du mußt ganz zielgerichtet gehen und darfst keinem ins Gesicht schauen.“ Er öffnet die Haustür. Ein paar Stufen hoch, dann steht er in seinem Straßenreich. Die Hände tief in die Taschen gegraben, huschen seine Augen von links nach rechts. Ein paar Typen grüßen ihn kaum merklich. Huncke ruft ein Taxi heran und verabschiedet sich freundlich. Einmal noch winkt er kurz, dann dreht er sich um, schwenkt ein in den Rhythmus der Straße. Der Hustler auf dem Heimweg.

Siehe auch das Interview Seite 21.

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