Sanssouci
: Nachschlag

■ Ein Müller, ein Hörspiel, ein Holzhammer

Das Messer, das in die Wunde paßt, habe er bei seiner Inszenierung von Heiner Müllers „Mommsens Block“ gesucht, so Jörg Jannings in der Einführung zur öffentlichen Präsentation seines Hörspiels. Gefunden wurde in der anschließenden Diskussion aber nur der Holzhammer, mit dem sich Müller einen absoluten Feind zurechtgezimmert hat.

Jannings läßt den Text über die Schreibblockade des Historikers Mommsen zunächst von Müller vollständig lesen. Dann schiebt er als Zwischenspiel den Engel der Geschichte von Benjamin ein und wiederholt nun den Text – diesmal gesprochen von Hermann Beyer, Ulrike Krumbiegel, Jürgen Thormann und Hanns Zischler – um schließlich bei Müllers glücklosem Engel zu landen. Klaus Buhlert untermalt den Text ab und zu mit „Lärm wie von begrabnen Trommeln“.

Eine Antwort auf die Frage „Warum/ Zerbricht ein Weltreich“, die schon Mommsen nicht gab, versucht Müller erst gar nicht. Aber trotz seiner persönlichen Resignation hält Müller an einem utopischen Konzept fest, was nach dem Scheitern des Sozialismus nur um den Preis der Konstruktion eines absoluten Feindes möglich ist. Der Feind ist natürlich der westliche Kapitalismus, der, so Müller an andere Stelle, „ein System der Selektion (das Prinzip Auschwitz) ist, die Kunst der einzige Ort der Utopie, das Museum, in dem die Utopie aufgehoben wird für bessere Zeiten“. Die Gleichsetzung von Auschwitz mit dem Kapitalismus: der Holzhammer.

Der Akzent, den Ulrike Krumbiegel auf die Metapher „Selektion“ setzt, ist deswegen so wirkungsvoll, weil er Auschwitz automatisch evoziert. Heiner Müller hat Auschwitz ungeheuerlicherweise als „Altar des Kapitalismus“ bezeichnet und damit die dort Ermordeten zu Opfern in einem religiösen Sinne gemacht. Nun weiß Müller natürlich und hat es auch in „Mauser“ deutlich gesagt, daß Menschen geopfert werden müssen. Und zwar für die Utopie und möglichst mit deren Einverständnis. Als einen letzten Dienst, den sie der Partei erweisen können. Das Sacrificium für Stalin als Zeugnis gegen Auschwitz sieht Müller in „Mommsens Block“ aber eher resignativ als „ein Sommergewitter im Schatten der Weltbank, ein Mückentanz über Tartarengräber“. Die Bejahung der Opfer für die Utopie bei ihrer gleichzeitigen Bagatellisierung und Instrumentalisierung macht diese Denkfigur so unangenehm. Wenn man denn überhaupt akzeptiert, daß von Stalin (d.h. für die Utopie) geopfert zu werden eine höhere Dignität besitzt, als von Hitler (d.h. für den Kapitalismus) ermordet zu werden.

Man hätte sich ein bißchen weniger Utopie-Museum und ein bißchen mehr Distanz zu diesem in der persönlichen Resignation ebenso anrührenden wie politisch zweifelhaften Text Heiner Müllers gewünscht. Jochen Meisner