■ Stadtmitte: Bürgerbeteiligung – wo kämen wir da hin?
„Wer Hauptstadt sagt, muß auch Ja zum Tunnel sagen.“ Mit dieser volksverdummenden (Verharm-)Losung konnte Ditmar Staffelt auf dem letzten Landesparteitag der SPD die Zustimmung seiner Partei zu den Großprojekten unter dem Tiergarten mit verheerenden Folgen für Berlin erpressen. Senat und Bundesregierung versuchen uns mit ähnlicher Vereinfachung angeblich hauptstädtische Großprojekte aufzuzwingen, um Bürgerproteste gleich im Ansatz abzuwürgen. Es werden uns die Ladenhüter der Stadt- und Verkehrsplanung präsentiert, die der Senat bisher nicht verwirklichen konnte: Westtangente als Nord-Süd- Straße, Spreebogenbebauung für den endgültigen Regierungssitz, Zentralbahnhof mit diversen Tunnelbauten, Hochhäuser, Abriß von DDR-Regierungsbauten und anderes. Diese Mammutprojekte sollen nun auf dem formalen Wege durchgesetzt werden. Das große Aufräumen auch mit den DDR-Requisiten hat begonnen.
Da werden schwergewichtige Machtmittel aufgefahren:
– Zeitdruck
– Beschleunigungsgesetz
– Erklärung zum Hauptstadtbereich, der der Kompetenz der Stadt Berlin entzogen ist
– Planfeststellungsverfahren für die Eisenbahn- und Tunnelbauten, die von der Reichsbahn durchgeführt werden, womit das lästige Berliner Naturschutzgesetz mit Klagerecht der Naturschutzverbände ausgehebelt ist
– frühzeitige und „förmliche“ Bürgerbeteiligungsverfahren (beides wirkungslose „Mitwirkungsmöglichkeiten“)
– Ausschaltung des Naturschutzes durch Nichtanerkennung von vorhandener Natur auf planungsrechtlich definierten Bahnflächen
– Evokationsrecht, das die Bevormundung der Bezirke durch Senatsverwaltungen rechtfertigt
– durch Weiterreichung der Kompetenz an höhere Gremien (zum Beispiel der Stadtverkehrsplanung an Bundesinstanzen)
– Baulandausweisungs- und Investitionserleichterungsgesetz
– Ignorieren von Rechtsgrundlagen, EG-Normen u.a.
Da sich der Senat für diese Machtdemonstration die Finger nicht beflecken, sondern den zu erwartenden Bürgerprotest auf andere abschieben will, überläßt er die Entscheidungen der Bundesregierung und dem Bundestag. Zu Recht fragen sich die BürgerInnen: Wer ist uns da noch rechenschaftspflichtig? Können wir solche Entscheidungen überhaupt noch beeinflussen?
Bürger dieser Stadt wollen sich konstruktiv beteiligen, „ihre“ Stadt mitdefinieren und -gestalten, gemäß dem Slogan: „Stadtplanung geht uns alle an!“ Besonders bei solchen immens wichtigen Entscheidungen ist der Protest vorprogrammiert. Sie organisieren sich in Bürgerinitiativen, sind sachkompetent und entwickeln eigene Planungsvorschläge, beispielsweise das Ringkonzept und die Nutzung von Altbauten. Solche Demokratie braucht allerdings Zeit. Weder Rom noch sonst eine Metropole wurde innerhalb von zehn Jahren gebaut. Selbst wenn die Bauwirtschaft dazu in der Lage wäre, alle diese Großbauten in weniger als 20 Jahren zu realisieren, ist es doch fraglich, ob lange Planungs- und Realisierungszeiträume zwangsläufig zu Chaos führen müssen. Mehr Zeit kann auch für besser durchdachte Planungen genutzt werden. Dann können Bürger mehr mitreden und damit mehr Demokratie realisieren. Haben lange Planungs- und Realisierungszeiträume uns nicht auch vor Fehlinvestitionen aufgrund gravierender Fehleinschätzungen und Fehlplanungen bewahrt – unter anderem das Kraftwerk im Spandauer Forst, die Westtangenten-Autobahn, Stadtring- Süd-Verlängerung und den Südgüterbahnhof auf dem Südgelände? Selbst eine juristische Klage bedeutet nicht immer Zeitverzögerung, sondern auch Geldeinsparung und die Realisierung gesetzlich geforderter Bedingungen, denn nichts anderes können Bürger einklagen. Daß sie interessiert sind und sich zahlreich beteiligen, hat das Bürgerbeteiligungsverfahren zum FNP 84/87 bewiesen: Die Senatsverwaltung erhielt 300.000 (!) Einwendungen und Protestunterschriften, das entsprach zwanzig Prozent aller wahlberechtigten Westberliner.
Was wirklich gegen Prestige- und Monsterbauten hilft, ist einzig und allein: Geldknappheit. Die Erfolge der Bürgerinitiativenbewegung der letzten 25 Jahre werden in der Hauptstadtplanung wieder zurückgedreht, weil sie zu weit gehen und „man ja vor lauter Bürgerbeteiligung nicht zum Bauen kommt“. Mal ganz im Ernst: Wo kommen wir denn hin, wenn für jeden geplanten Baukoloß die BürgerInnen dieser Stadt um Zustimmung gebeten werden? Norbert Rheinlaender
Der Autor ist Mitglied der BI Westtangente.
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