: Explosive Stimmung nach IRA-Anschlag
■ Zehn Tote, sechzig Verletzte / IRA spricht von „tragischem Fehlschlag“
Belfast/Berlin (dpa/AFP/AP/taz) – Am Tag nachdem die IRA bei ihrem blutigsten Attentat seit sechs Jahren in Belfast zehn Menschen um ihr Leben brachte und sechzig zum Teil schwer verletzte, streiften gestern schwerbewaffnete junge Männer durch Nordirland und griffen KatholikInnen an. Sie warfen Steine auf vorüberfahrende Autos und schleuderten in Lisburn bei Belfast Brandbomben in Wohnungen von Katholiken. Einem jungen Katholiken, der mit seiner Freundin im Auto saß, wurde ins Gesicht geschossen. Sein Zustand gilt als „ernst“.
Die Bombe war am Samstag im belebten Geschäftsviertel Shankill explodiert. Die „Irisch-Republikanische Armee“ (IRA) bekannte sich Minuten später zu dem Anschlag. Eine „vorzeitige Explosion“ habe zu dem „tragischen Fehlschlag“ geführt, sagte sie und bedauerte, daß dabei unbeteiligte Menschen verletzt und getötet wurden. Die verbotene Organisation „Freiheitskämpfer von Ulster“ (UFF), deren Sitz sich in dem zerstörten Gebäude befand, kündigte umgehend Vergeltungsschläge und eine „totale“ Mobilisierung ihrer Mitglieder an.
Die Toten sind fünf Frauen, drei Männer und zwei Mädchen von 7 und 13 Jahren. KeineR von ihnen gehörte der UFF an, gegen die der Anschlag gerichtet war. Hingegen sind nach IRA-Angaben mehrere ihrer eigenen „Freiwilligen“ der Explosion zum Opfer gefallen. Einer sei getötet worden, der andere sei verletzt und stehe in einem Krankenhaus unter Polizeibewachung, hieß es. Ein dritter, der in einem Auto wartete, sei geflohen. Augenzeugen berichten, daß die beiden Attentäter als Metzger verkleidet kamen und das Sprengstoffpaket in einem Laden im Erdgeschoß des Gebäudes deponieren wollten, in dem sich die UFF-Büros befanden.
Seit dem Beginn der Auseinandersetzungen im Jahr 1969 sind in Nordirland etwa 3.100 Menschen Opfer der politischen Gewalt geworden.
In letzter Zeit hatten Gespräche der sozialdemokratischen Partei SDLP mit dem politischen Arm der IRA, „Sinn Fein“, Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Nordirland-Konfliktes geweckt. Erstmals verhandelte eine anerkannte Partei mit den von London als „Anhänger der IRA- Gewalt“ bezeichneten Sinn-Fein-Leuten. Zwar kam dabei nichts Spektakuläres heraus, doch selbst Sinn-Fein-Chef Gerry Adams sprach von einer Müdigkeit der Bevölkerung über den Kampf.
Auch im Lager der probritischen Unionisten, die ihre Anhänger unter Nordirlands Protestanten haben, schien es neue Ansätze zu geben. Zwar verlangten auch da die führenden Politiker, daß zunächst einmal Dublin seinen in der irischen Verfassung festgeschriebenen Anspruch auf Mitentscheidung über Nordirland aufgeben müsse. Aber man wollte künftige Kontakte mit der IRA – bisher absolut undenkbar – unter gewissen Voraussetzungen nicht ausschließen.
Zugleich blieben die bewaffneten Kämpfer beider Seiten bei ihrer eigenen Tagesordnung. Nahezu täglich gab es in den letzten Wochen Anschläge. Nach Informationen der Polizei waren protestantische Extremisten bei den Einzelanschlägen zuletzt wirkungsvoller als die IRA. Mit dem spektakulären IRA-Anschlag auf das Hauptquartier der Gegner „haben die wieder gleichgezogen“, hieß es am Samstag in Sicherheitskreisen in Belfast.
Großbritanniens Premierminister John Major sprach sich für eine „Isolierung“ der Gewalttäter auf beiden Seiten aus. In Anspielung auf jüngste Friedensinitiativen, an der auch die „Sinn Fein“, IRA, beteiligt ist, erklärte er: „Es gibt nur eine Botschaft, die ich von der IRA hören will. Daß sie die Gewalt für das Gute aufgibt.“
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