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■ Nachschlag zu den Internationalen Spieltagen in EssenWir werden immer saur(i)er

Essen (taz) – Die Zeit der herumschweifenden Spielrebellen ist vorbei. Statt einer Aufbruchstimmung, die noch Anfang der 90er Jahre in der Szene zu bemerken war, sitzen Spieleerfinder und Verlage fest. Die Autorenzunft hat sich etabliert, und der Spielekritiker mutiert zu einem grunzenden Ork, der nur noch darauf bedacht ist, sich möglichst viele Spielbretter vor dem Kopf zu stapeln.

Statt kreativer Spiele Steven Spielberg und ausgestorbene Echsen. Da kommt dann der „Dino über dem Regenbogen“, erprobt sich im „Duell“ oder tanzt die „Drachenpolka“. Da sind die Kids auf der „Flucht vor dem Tyrannosaurus“ durch den frischen Klee. „Das waren Zeiten!“ jubelt Milton Bradley und präsentiert „Dinosaurs“ und dazu Jurassic Park als dreidimensionales Puzzle. Unüberschaubar die Ansammlung von Quartetten und Postern. Am urzeitlichsten treiben es die Ravensburger. Bei denen kommt ein „Nilpferd selten allein“ und hat noch „Dino Drache“, „Im Land der Dinosaurier“ oder als „Rivalen in der Urzeit“ „Dragon Busters“ und eine Reihe dinosaurischer Memorys im Gepäck. Zum Glück präsentierten sich in Essen Langenscheidt mit seinen Wörterbüchern und die Brockhäuser mit ihren Duden. Mit diesen Büchern konnte man zwar noch nicht so recht spielen, aber dafür mit den Wortschätzen jonglieren und die Lexika auf die Urviecher werfen.

Natürlich gibt es ein Spielen nach dem Dinosaurus. Aber auch hier springt der Ideenreichtum nicht gerade ins Auge. Mit über 400 Neuerscheinungen brüstet sich Herr Pohle von der „Fachgruppe Spiel“ und kann in seiner holpernd abgelesenen Presseerklärung Nische nicht von Zielgruppe unterscheiden.

Die Branche, die mit vier Prozent Wachstum im ersten Halbjahr so freudig erregt in die Zukunft blickt, lebt von der Substanz. „Dragon Buster“ hieß vor zehn Jahren noch „Paß auf, der Wolf“. Der von den Ravensburgern in eine Schachtel gezwängte Kinderpartyhit „Schokolade auspacken“ mit Mantel, Mütze und Handschuhen ist eine glatte „Hochstapelei“. ASTrein hingegen Wolfgang Riedessers „Mau, Mau“, das bei ihm nach dem alten Chuck-Berry-Hit „Route 66“ heißt. Und selbst das Spiel des Jahres 1993 ist ein Spitzenbluff aus dem Hause F.X. Schmid. „Bluff“ von Richard Borg ist eine Weiterentwicklung oder Abwandlung eines alten Kneipen-Würfelspiels, das landläufig als „Schummeln“ oder „Lügen“ bekannt ist. „IRRgendwie“ ist aber auch den Pyramisleuten, diesen Experten für Kopfnüsse der besonderen Art, nichts Kniffliges eingefallen, und Noris, mit seiner opulenten Graphik der letzten Jahre, tendiert zu rätselhafter Sachlichkeit. Frank Schölles, einst an Öko- und Genfront spielend, ist durch die Reiseführer gewandert, um die Welt erfragbar zu machen. Statt sich den Problemen der Zeit zuzuwenden, wie es die Autoren auf den Göttinger Spieletagen propagierten, haben sich die Verlage ihrer ökonomischen Sanierung zugewandt.

Kein Wunder, daß sich Klaus Teuber auf eine „Vernissage“ im eigenen Verlag rettet, Wolfgang Kramer auf den „Athos“ zurückzieht und Rainer Knizia „Das letzte Paradies“ beschwört.

Reiner Knizia gilt als neuer Stern am Spielehimmel. Im letzten Jahr tauchte er mit „Quo Vadis“ und diesmal sogar mit zwei Spielen – „Tutanchamun“ und „Modern Art“ – in der Auswahlliste zum renommierten Kritikerpreis „Spiel des Jahres“ auf. Nur zu Recht hievten ihn die Pöppel-Revue-Leser in diesem Jahr für sein böses und hinterhältiges Kunstmarkt- und Kunstsammlerspiel „Modern Art“ auf das oberste Treppchen des „Deutschen Spiele Preises“. Peter Huth

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