■ Wir lassen lesen: Komische Freunde
Ich habe, zugegeben, komische Freunde. Swen hält, weil Yves Eigenrauch dieselbe Schule in Minden besucht hat wie er, unverbrüchlich zu Schalke. Acki pilgert, weil ihn der Job ins Revier verschlagen hat, aller in Grenznähe genossenen Eintracht-Braunschweig- Sozialisation zum Trotz, fleißig zu Borussia Dortmund. Ingmar ist die ständige Umzieherei zwischen Lübeck, Fulda und Dortmund sogar aufs Hirn geschlagen: Er ist Bayern-Fan. Nur ich bin normal und schlafe in Gladbach-Bettwäsche.
Treffen sich diese ungleichen Herren, um die aktuelle Weltlage zu erörtern oder über die schönen Künste zu plaudern, werden nach anfänglichem Höflichkeitsgeplänkel stets die wirklich elementaren Fragen durchgehechelt. Wie die, wer denn nun der tüchtigste Vorstopper aller Zeiten gewesen sei – Swen beharrt dabei auf „Rolli Rüßmann“, Acki wirft ein langgezogenes „Schuuuuulz“ in den Raum, Ingmar faselt was von „Katsche“. Und wenn ich feuchten Auges „Luggi Müller“ wispere, begegne ich geballter Ignoranz.
Drei „FußballFragenBücher“ bringen nun etwas Regelhaftes in unseren Dauer-Disput und so etwas wie Ordnung in unser Häuflein vermeintlicher Küchentisch-Hooligans. Nach dem vorjährigen Rate- mal-Vergnügen „Wer ist am Ball?“, das zu tiefen Zerwürfnissen zu führen drohte, gibt's nun speziell für meine streitbaren Kumpane die Chance zur Wiedergutmachung. Philipp Selldorf, fußballfanatischer Redakteur des Kölner Stadtanzeigers, hat in dem königsblauen Bändchen „Alles Schalke, oder was?“ allerhand Schnickschnack zur Gelsenkirchener Gurkentruppe zusammengetragen. Freddie Röckenhaus, der es trotz Zeit-Vertrages nie mit dem HSV, sondern seit Kindesbeinen stets mit dem BVB gehalten hat, fragt zwischen schwarz-gelben Buchdeckeln „Kennen Sie Borussia?“. Und Helmut Schümann, bei der Süddeutschen Zeitung für Lothar, Lolita und Labbadia zuständig, hat sich unter dem Titel „Bayern! Bayern!“ rund 370 rot- weiße Fragen über den Ekelklub der Republik aus dem Kreuz geleiert.
Da ich mich als Fohlen-Fanatiker und Bökelberg-Pilgerer bis zur Geburt eines entsprechenden Gladbach-Buches im nächsten Jahr gedulden muß, fällt mir fürderhin die Rolle des gerechten wie gestrengen Quizmasters zu. Aus Hunderten von Fragen gilt es das Fieseste, Hinterhältigste und Abwegigste auszusuchen und mit dem Fußball-Sondermüll abzugleichen, der statt revolutionärer Ideen, mathematischer Formeln oder romantischer Lyrik die Hirne der ach so beschlagenen Herren verkleistert.
An Fallstricken ist kein Mangel. Den nördlichsten S 04-Fanklub der Welt wußte Swen noch richtig zu benennen (in Belfast sitzt er). Bei Egon Flads Lieblingsessen jedoch lag er schon knapp daneben (Spätzle, nicht Spaghetti), und hinter der Formulierung „Welcher Kicker hatte auf Schalke als erster Abitur?“ vermutete er gar eine Fangfrage – dabei hat Hans Klodt dereinst wirklich die Reifeprüfung abgelegt. Acki brachte ich mit Fragen nach dem ältesten Bundesliga-Debütanten des BVB und der Identifizierung des Pseudonyms „Fitsche“ aus dem Gleichgewicht. Und Ingmar mit dem Auskunftswunsch, welcher Ober- Bayer dereinst in dem Leinwand-Lustspiel „Wenn Ludwig ins Manöver zieht“ den Feldkoch spielte, in arge Verlegenheit.
Ein Sieger des Wettstreits ist, da sich die auf 24 Kapitel bzw. Spieltage angelegte Saison erst kurz vor der Halbzeit befindet, noch nicht in Sicht. Dafür jedoch ein Trend – Ingmar (typisch Bayern!) liegt knapp vorn, weil Swen und Acki mit den polnischen Nachnamen ihrer „Ahnengalerie“-Ruhrpott-Helden, den Michalleks und Tibulskis und Kasperskis und Koslowskis und Kapitulskis und Sadlowskis, ständig durcheinanderkommen.
So sitzen die drei also viele Abende vor dem hohen Fußballgericht und spulen runter, was sie an Elfmetern, Europapokalspielen, Eigentoren, Kapitänsbinden, DFB-Pokal-Unglücken, roten Karten, Fallrückziehern, Spitznamen und blau- weißen, schwarz-gelben oder rot-weißen Merkwürdigkeiten über die Jahre so alles behalten haben. Wie gesagt: Ich habe komische Freunde. Nur ich bin normal und schlaf in Gladbach- Bettwäsche. Holger Jenrich
Philipp Selldorf: „Alles Schalke, oder was?“; Freddie Röckenhaus: „Kennen Sie Borussia?“; Helmut Schümann: „Bayern! Bayern!“; Alle: Eichborn-Verlag, Frankfurt/M. 1993, 14,80 DM.
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