: Rüstungswettlauf am Mittelmeer
Griechenland und die Türkei gehören zu den größten Waffenkäufern der Welt / Hochmoderne Technologie aus Nato-Fabriken in Deutschland, den Niederlanden und den USA ■ Von Dorothea Hahn
Berlin (taz) – Waffen erhalten die Freundschaft: Unter diesem Motto stehen die massiven Nato- Rüstungslieferungen an die streitbaren Partner Griechenland und Türkei. Traditionell erhalten die beiden wirtschaftlich schwachen Mitglieder an der Südostflanke der Verteidigungsgemeinschaft gratis „Rüstungssonderhilfe“ aus Altbeständen der wohlhabenden Mitgliedsländer – Deutschland ist für die Türkei zuständig, die USA und die Niederlande beliefern Griechenland.
Hinzu kommen seit einigen Jahren verstärkte Rüstungskäufe beider Länder auf eigene Kasse. Unter anderem schaffen sie Systeme an, die nicht nur zur Verteidigung der eigenen Grenzen geeignet sind, wie es die Nato-Verträge vorsehen, sondern auch als Angriffswaffen mit teilweise erheblicher Reichweite taugen. In einem in der vergangenen Woche verabschiedeten Bericht weist die UNO-Vollversammlung erstmals auf diesen „Rüstungswettlauf“ im südöstlichen Mittelmeerraum hin. Unter anderem kauften Griechenland und die Türkei im vergangenen Jahr weltweit die meisten Panzer und gepanzerten Fahrzeuge.
Aus einem Überblick des „British American Security Information Council“ (Basic) über die Rüstungstransfers nach Griechenland und in die Türkei geht hervor, daß Griechenland 1992 mit 1,9 Milliarden US-Dollars einen höheren Anteil seines Bruttosozialproduktes für Rüstungskäufe ausgab als irgendein anderes Nato-Land. Im gleichen Zeitraum gab die Türkei 1,5 Milliarden US-Dollar für Waffen aus und erhöhte damit ihre Rüstungsausgaben um 9 Prozent.
Laut „Basic“, das seine Informationen von dem schwedischen Friedensforschungsinstitut „Sipri“, von der Nato und zahlreichen Ländern bezog, haben Nato- Länder sich in den vergangenen drei Jahren verpflichtet, insgesamt 25 Fregatten und Zerstörer, 400 Kampfflugzeuge, 130 Angriffshubschrauber, 2.500 Panzer, 1.500 gepanzerte Kampffahrzeuge und fast 1.000 Stück schwere Artillerie an Athen und Ankara zu liefern. Zusätzlich erhält die Türkei 360.000 Infanterie-Waffen aus Deutschland.
Beide Seiten bereiten sich offenbar auf „starke und hochgerüstete“ Gegner vor. Die gegenwärtig kämpfenden Konfliktparteien in den Nachbarländern, sowohl im früheren Jugoslawien als auch in Transkaukasien, können nach Ansicht von Basic nicht gemeint sein.
Die Rekonstruktion der Waffenbestellungen macht deutlich, daß sich Athen und Ankara an der Aufrüstung der jeweils anderen Seite orientieren. Als deutlichstes Zeichen dafür, daß die Aufrüstung gegeneinander gerichtet ist, bezeichnet Basic die Marine beider Länder. Die wurde in den vergangenen drei Jahren stark modernisiert, obwohl die „sowjetische Drohung“ nicht mehr besteht. So bestellte die Türkei sechs neue Fregatten und wird zusätzlich voraussichtlich fünf ehemalige US-Navy- Fregatten erhalten. Griechenland bestellte gleichzeitig vier neue Fregatten und wird sechs gebrauchte Fregatten und vier gebrauchte Zerstörer aus den Niederlanden und den USA erhalten.
Neben den westlichen Waffentransfers hat Basic eine Zunahme der Waffenproduktion in der Türkei und Griechenland beobachtet. Unter anderem werden Stinger- Raketen in beiden Ländern mit Lizenzen produziert. Langfristig könnten sich die Länder damit von Waffenkäufern zu -lieferanten entwickeln. So hat Pakistan, das von US-Rüstungsfirmen nicht beliefert werden darf, bereits bei der Türkei um Militärhubschrauber (Typ: ZH-60 Blackhawk) gebeten. Seit langem wird die Türkei verdächtigt, illegal Waffen an Aserbaidschan zu liefern. Umgekehrt lastet auf Athen der Argwohn, es könnte seine orthodoxen Glaubensbrüder in Serbien mit Waffen aus griechischer Produktion unterstützen wollen.
Ungeklärte Konflikte gibt es zwischen Griechenland und der Türkei genug – der Streit über den Kontinentalsockel in der Ägäis, der Zypernkonflikt und die moslemische Minderheit in Thrakien sind nur einige. Die Hochrüstung könnte diese Konflikte gefährlich zuspitzen, meinen die Experten von Basic. Anstatt die Balkanregion noch tiefer in die Katastrophe zu treiben, sollte der Westen, so Basic, nach „Bindungen suchen, die weniger destabilisierend und gefährlich sind als Waffen“.
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