Nicht Kaninchen, sondern Mungo sein

■ Jugendsenator THomas Krüger (SPD) wehrt sich gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts und das Einknicken der SPD gegenüber einem rechten Populismus, der auf Polizei statt Sozialpolitik setzt

taz: Es gibt gegenwärtig eine Diskusssion um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, insbesondere wegen der rechtsextremen Gewalttaten. Das ist offenbar populär, aber ist das eine Lösung?

Thomas Krüger: Überhaupt nicht. Ich bin entschieden gegen die Verschärfung des Jugendstrafrechts, weil die Zahlen deutlich machen, um welch geringen Prozentsatz von Jugendlichen es sich handelt. Von tausend Jugendlichen werden achtzig von der Polizei als Straftäter verdächtigt. Davon werden vierzig abgeurteilt – darin sind schon Freisprüche und Einstellungen enthalten: Tatsächlich verurteilt werden nur fünfzehn Jugendliche. Entgegen der Wirklichkeit aber wird suggeriert, daß die Problematik immer schlimmer wird und die Jugendlichen immer krimineller werden. Natürlich hat die rechtsgerichtete Gewaltbereitschaft zugenommen. Dagegen muß aber nicht das Jugendstrafrecht verschärft werden, sondern die zivile Sanktionsbereitschaft der Menschen muß wachsen.

Ein CDU-Politiker hat gesagt, irgendwann könne man jugendliche Straftäter nicht mehr erziehen, sondern nur noch einsperren.

Bei jugendlichen Mehrfachstraftätern – und das sind nicht viele – kann man das Prinzip Erziehen statt Strafen nicht ideologisch aufrechterhalten: Wenn es nicht anders geht, dann muß auch zum Mittel der Haft gegriffen werden. Ansonsten aber bin ich dafür, dieses Prinzip weiterhin als Leitlinie beizubehalten, weil in den letzten zwanzig Jahren diese Methode sehr viel Erfolg hatte. Die Zahlen der Bewährungshilfe weisen das aus: Im Jahre 1983 haben die Bewährungshelfer 2.850 Jugendliche betreut und 1991 nur 1.908 Jugendliche, davon 350 aus den östlichen Bezirken. Das macht deutlich, daß die Arbeit mit straffälligen Jugendlichen einen der erfolgreichsten Jugendhilfebereiche darstellt.

Die Stimmung für eine Verschärfung entsteht doch auch deswegen, weil bei Körperverletzungen mit manchmal lebenslangen, schmerzhaften Folgen die geringen Strafen von den Opfern als eine Verhöhnung empfunden werden.

Man muß gerade im Bereich der Arbeit mit straffälligen Jugendlichen, die auch Gewalt ausüben, mehr auf Modelle des Täter- Opfer-Ausgleichs setzen. Der Täter muß auch konfrontiert werden mit der Situation des Opfers. Es muß pädagogische Arbeit mit ihm geleistet werden. In Friedrichshain und Charlottenburg gibt es bereits Projekte, die dies sehr erfolgreich praktizieren. Darüber hinaus muß ein Ansatz gewählt werden, der den Jugendlichen die Grenzen, die sie überschritten haben, deutlich macht. Wir stellen heute aber fest, daß sich in der gegenwärtigen Rezession sich die Angst ihre Konturen sucht. Es müssen Schuldige gefunden werden. Es kann nicht Aufgabe linker Politik sein, diese latente Paranoia für Stimmenfang zu nutzen, auf die vermeintlich Bösen einzuprügeln und einfache Lösungen zu propagieren: Krisen können nicht durch Demokratieabbau gelöst werden, sondern nur mit einer Intensivierung der Demokratie.

Das ist auch ein Vorwurf an ihre Partei, die SPD, die sich auf eine solche Diskussion einläßt.

Allerdings. Nicht der Sozialstaat ist das Problem, sondern die strukturellen Probleme wie die Kosten der Einheit, die Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot und die Fehlsubventionierung. Als Antwort darauf aber wird von der Bundesregierung ein Sozialabbau betrieben. Die Folgen sind soziale Spannungen, die dann sicherheitspolitisch beantwortet werden. Das ist eine klassische Neurose der Politik, immer an den Problemen vorbei zu agieren und nicht mehr das eigentliche Problem bei der Wurzel zu packen.

Wenn hier Populismus – gerade von den Konservativen – immer wieder ins Spiel gebracht wird und mehr Geld für die Polizei ausgegeben wird, bedeutet dies zugleich weniger Geld für die Sozialpolitik. Da steckt Methode dahinter. Schäubles Art, die Opposition zu treiben, läuft nach dem Motto: Problem erkannt, Fetisch benannt, Opposition gebannt. Das funktioniert, weil die SPD besitzstandswahrend und ideologisch auf ihre Themen fixiert ist. Die SPD reagiert wie das Karnickel vor der Schlange. Die SPD muß sich endlich anders verhalten, muß vom Karnickel zum Mungo werden, der die Schlange zurückbeißt. Es geht nicht, wenn man Populismus mit Populismus kontert – Populismus muß man mit Kompetenz attackieren. Gespräch: Gerd Nowakowski