: Mitterrand will Wege nach Bosnien freikämpfen
■ Owen weist Vorschlag zurück und schiebt Bosniern die Kriegsschuld zu / Ghali setzt Hilfstransporte aus / Säuberungswelle gegen Kriminelle in Sarajevo
Berlin (taz) – François Mitterrand will die Versorgung der bosnischen Bevölkerung militärisch sicherstellen. Überraschend erklärte der französische Präsident am Montag abend im Fernsehsender Antenne 2, er wolle dem für Freitag in Brüssel angesetzten EG- Sondergipfel vorschlagen, die „Südroute“ vom kroatischen Hafen Split zur bosnischen Hauptstadt Sarajevo durch UNO-Truppen gewaltsam öffnen zu lassen. Mitterrand betonte, ein derartiges Vorgehen sei angesichts der sich häufenden Angriffe auf Hilfskonvois „unabdingbar“. Die Angriffe auf die UN-Transporte würden erst aufhören, wenn die internationale Gemeinschaft den Angreifern gegenüber Entschlossenheit demonstriere.
Der britische EG-Vermittler David Owen wies Mitterrands Vorschlag am Rande des EG-Außenministertreffens in Luxemburg gestern kategorisch zurück. Mit einem Kampfeinsatz würden die UN-Schutztruppen für das ehemalige Jugoslawien (Unprofor) in die Rolle einer kämpfenden Partei geraten. Gleichzeitig betonte Owen erneut, der Winter werde in Bosnien zu einer „grauenvollen humanitären Krise“ führen, wenn die Kämpfe nicht umgehend eingestellt würden. Die militärische Führung der Bosnier setzte aber offenbar auf eine „Frühjahrsoffensive“ nach einer weiteren wirtschaftlichen Schwächung der serbischen Kriegspartei im Winter, um vor neuen Friedensverhandlungen weitere Gebiete zurückerobern zu können.
Einen Tag nachdem bei Travnik ein dänischer Lkw-Fahrer erschossen und neun Unprofor-Blauhelme schwer verwundet worden waren, hat UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali die Hilfslieferungen in die zwischen „Kroatischem Verteidigungsrat“ (HVO) und bosnischer Armee umkämpfte Region eingestellt. Nach Angaben des UN-Hochkommissariates für Flüchtlinge (UNHCR) wurde der Konvoi vorsätzlich angegriffen. Nach Informationen der taz operieren in der Region um Travnik auch Räuberbanden.
In Sarajevo fahndete die bosnische Armee gestern nach zwei Milizkommandanten. Der als „Caco“ bekannte Musan Topalović und der „Ćelo“ genannte Ramiz Delalić gelten als Hauptdrahtzieher des organisierten Verbrechens. Soldaten ihrer Einheiten, der 10. Gebirgsjägerbrigade und der 9. Motorisierten Infanteriebrigade hatten letzte Woche zwei Schützenpanzer der Unprofor gestohlen. Die Truppen kämpfen zwar auch gegen die serbischen Belagerer, befolgen aber nicht die Befehle des bosnischen Oberkommandos. Beim Durchkämmen der Stadt kam es nach UNO-Angaben zu Kämpfen. Die Veranstaltungen des seit drei Tagen laufenden Filmfestivals konnten aufgrund der Kämpfe nur von wenigen Bürgern Sarajevos besucht werden. rr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen