: Grünes Licht für Rot pur
■ GAL verabschiedet sich vom baldigen Ausstieg aus der Atomwirtschaft / Voscherau sieht nun „gemeinsame Eckpunkte“ Von Marco Carini
Der GAU blieb aus. Zwar kam es gestern in den rot-grünen Koalitionsverhandlungen zum Thema Atomausstieg zu einem ernsthaften Störfall, doch am Ende konnte Bürgermeister Henning Voscherau gutgelaunt verkünden: „Wir haben einen großen Schritt gemeinsam getan, viele Punkte sind einigungsfähig“. Das habe er, so Voscherau, „noch vor wenigen Stunden nicht für möglich gehalten“.
Denn gegen Mittag war der Senatsprimus sichtlich erregt aus dem Verhandlungssaal des Rathauses gestürmt, um vor JournalistInnen zu verkünden, daß die Grünen die Koalition an „einem symbolischen Akt“ scheitern lassen würden. Die GAL hatte ein klares Votum gegen die Pläne der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) gefordert, die das Kieler Energieministerium mit einer Klage zwingen wollen, die Rißreaktoren Brunsbüttel und Krümmel schnell wieder ans Netz gehen zu lassen.
Die SPD-VerhandlerInnen gaben nach einstündiger Auszeit nach: Die angedrohte HEW-Klage sei „politisch nicht wünschenswert“. Krista Sager beglückt: „Diese Erklärung war uns wichtig, um zu überprüfen, daß die SPD den Ausstieg wirklich will.“
Das – politisch unbedeutsame – Zugeständnis war das einzige, was die Grünen in den Verhandlungen um den Atom-Ausstieg gestern erreichten. Zurückgezogen hat die GAL ihre Forderung, die nicht im Besitz der Stadt befindlichen HEW-Aktien aufzukaufen, um als Alleineigner den Ausstieg zügig voranzutreiben. „Dieser Weg hätte uns keinen Schritt auf dem Ausstiegsweg weitergebracht“, erklärte denn auch Krista Sager.
Denn will die HEW aus Krümmel, Stade oder Brokdorf raus, kann Mitgesellschafterin PreußenElektra laut Gesellschaftsvertrag die HEW-Anteile kaufen und die Atommeiler in Eigenregie weiterbetreiben. Nur beim Brunsbütteler AKW können die Hamburgischen Electricitäts-Werke nach einer Kündigung die Anteile der Mitbetreiberin PreußenElektra aufkaufen und das Kraftwerk dann stillegen. „Wir werden 1996 mit dem Ziel des Ausstiegs prüfen, ob wir den Nutzungsvertrag mit Brunsbüttel für 1999 kündigen“, sagte Voscherau zu.
Allerdings nannte er als Vorbedingungen ein neues Kraftwerk in Schleswig-Holstein und die Lieferung von Wasserkraftstrom aus Norwegen. Wären diese Ersatzkapazitäten noch nicht verfügbar, könne es durchaus sein, so der Bürgermeister, daß die HEW den Brunsbüttel-Vertrag auch erst zum Jahr 2002 kündigen. Doch dieser „Kompromiß“ entspricht zu 100 Prozent der bisherigen Linie von SPD-Umweltsenator Fritz Vahrenholt, der schon mehrfach angekündigt hatte, nach Erhalt der norwegischen Wasserkraft „zwischen 2000 und 2005 Brunsbüttel stillzulegen“.
Vertagt wurde die Frage der Stromtariferhöhungen für energieintensive Industrieunternehmen; die Kündigung der Verträge mit Sellafield und La Hague soll durch ein noch zu formulierendes Koalitions-Statement zu den Gefahren der Wiederaufarbeitung ersetzt werden. Bei so viel grünem Entgegenkommen war denn auch der Bürgermeister mit der GAL zufrieden: „Wir haben jetzt gemeinsame Eckpunkte.“
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