: Massaker an bosnischen Muslimen
UNO findet Überreste von 15 Leichen im zentralbosnischen Stupni Do / Bosnische Armee schließt Aktion gegen Sarajevos Unterwelt ab / Bandenführer „auf der Flucht erschossen“ ■ Aus Split Erich Rathfelder
UNO-Truppen haben bei der Untersuchung eines von Kroaten niedergebrannten Dorfes in Mittelbosnien die Überreste von 15 Leichen gefunden. Damit hat sich der Verdacht erhärtet, daß Muslime im 30 Kilometer nördlich Sarajevos gelegenen Ort Stupni Do einem Massaker zum Opfer gefallen sind. Die UNO-Soldaten eines skandinavischen Bataillons stellten nach einem vorläufigen Bericht fest, daß alle 52 Häuser des Muslimdorfes Stupni Do bei der kroatischen Offensive am Samstag niedergebrannt worden waren. Unter den 15 Opfern war eine Gruppe von Frauen, die sich noch im Tod aneinanderklammerten. Die Opfer waren erschossen oder verbrannt worden.
In Sarajevo wurde gestern der stadtbekannte Mafiosi und Kommandant der Bosnischen Armee, Ramiz Delalić, genannt Ćelo, festgenommen. Ein zweiter Anführer einer kriminellen Bande, Musan Topalović, genannt Caco, wurde – nach offiziellen Angaben – auf der Flucht erschossen. Ärzte, die Topalovićs Leiche gesehen hatten, erklärten jedoch, daß sich die tödlichen Schußwunden in Gesicht und am Bauch befänden.
Noch am Montagabend hatte sich Ramiz Delalić mit 30 seiner Getreuen und 50 Geiseln in seinem Hauptquartier in der Altstadt Sarajevos verschanzt. Und auch Musan Topalović hatte das Hauptquartier seiner 10. Brigade in eine Festung verwandelt. Doch gelang es Einheiten der Militärpolizei und der Armee gestern morgen, die Hauptquartiere der beiden Ex- Kommandanten zu stürmen und die Geiseln zu befreien. Schon seit einigen Monaten war es zu Spannungen zwischen der bosnischen Armeeführung und den beiden Kommandanten gekommen. Diese hatten nicht nur versucht, den Schwarzen Markt unter ihre Kontrolle zu bringen, sondern auch Schutzgelder von Restaurants zu erpressen. Die Spannungen eskalierten, als die beiden Kommandanten begannen, Zivilisten mit Gewalt zu Schanzarbeiten an ihren Frontabschnitten zu zwingen. Darüber hinaus wird beiden vorgeworfen, Gewalt gegen die Zivilbevölkerung angewandt zu haben. Topalović soll sogar 28 serbische Männer aus der Stadt verschleppt und eigenhändig in einem Schützengraben umgebracht haben. In der letzten Zeit taten sich die beiden auch damit hervor, daß sie ausländische Journalisten ausrauben ließen.
Der Vizekommandeur der Bosnischen Armee, Jovan Divjak, erklärte schon vor zwei Monaten in einem taz-Gespräch, daß eine Aktion gegen die beiden kriminellen Armeeführer geplant sei. Sie sei jedoch unter den Bedingungen des Krieges nicht so einfach durchzuführen, ohne einen Bürgerkrieg in Sarajevo selbst zu entfachen. Denn beide Kommandanten hätten 2.000 bis 3.000 Leute unter sich und hielten mit diesen Brigaden zwei wichtige Frontabschnitte gegenüber den serbischen Streitkräften.
Dennoch ist es den regierungstreuen Einheiten gestern gelungen, ein Eingreifen der den beiden Kriminellen unterstehenden Soldaten zu verhindern. Bei diesen Soldaten handelt es sich um eine „Sarajevoer Mischung“. Es befinden sich also Muslimanen, Kroaten und Serben unter ihnen.
Seit Beginn des Krieges in der bosnischen Hauptstadt spielt das kriminelle Milieu bei der Verteidigung eine bedeutende Rolle – denn dieses verfügt über die notwendigen Waffen. Einer derjenigen, der in den ersten Wochen den Widerstand organisierte, war der im Herbst 1992 zur kroatischen Seite übergelaufene und inzwischen im Ausland weilende Kriminelle Juka, der sogar zum Volkshelden aufgestieg. Nur langsam konnte die im Aufbau befindliche Armee Bosniens den Einfluß dieser Gruppen zurückdrängen. Auch die Armeeführungen in den zentralbosnischen Städten Zenica und in Tuzla versprachen gestern, in ihren Bereichen tätige Kriminelle aus der Armee auszuschließen.
Teilung Dalmatiens?
Mira Lorger, Abgeordnete der Dalmatinischen Aktion im kroatischen Parlament hat inzwischen ihre Vorwürfe gegen die kroatische Regierung erweitert. (vgl. taz- Interview vom 27.10). „Der Grund, warum Zagreb versucht, unsere Partei zu zerschlagen, liegt auch darin, daß zu uns immer mehr junge Männer kommen, die als Soldaten auch in Bosnien eingesetzt werden und erkannt haben, wie Propaganda und Wirklichkeit auseinanderklafft.“ Bei einer Veranstaltung der Partei am 23. Oktober in Makarska wären 70 Prozent der Zuhörer Soldaten gewesen. Außerdem sei es denkbar, daß die Partei ein Hindernis für den geplanten Kuhhandel Tudjmans mit Milošević bezüglich eines Küstenstreifens für Serbien aus dem Weg räumen wollte. „Denn wenn Tudjman vorhat, die Küste um Dubrovnik für die Krajina und andere Gebiete einzutauschen, wird er in Dalmatien einen Aufschrei der Empörung ernten.“ Frau Lorger erinnert an den kroatischen Ustaschaführer Ante Pavelic, der dem Mussolini-Italien während des II. Weltkrieges einen Teil Dalamtiens überlassen hatte. Damals gingen viele Dalmatiner in den Widerstand.
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