: „Dann hab ich ihn einfach umgebracht“
Jährlich werden unbeachtet von der Öffentlichkeit 30 Schwule ermordet / Hinter den meisten Morden steht Raubabsicht oder Schwulenhaß / Täter gehen häufig mit ungeheurer Brutalität vor ■ Von Jens Dobler
„...und da hab' ich ihn halt mit der Bierflasche geschlagen, aber die ist kaputtgegangen. Dann hab' ich ihn immer ins Gesicht geschlagen, bis meine Hand dann kaputt war, und dann hab' ich ihm einen Krug auf'm Kopf zerschlagen. Und dann war da noch der Standaschenbecher ... Und dann war er tot.“ Hans S., der dies erzählt, ist heute 22 Jahre alt und sitzt seit vier Jahren im Gefängnis, weil er einen 73jährigen Schwulen, auf die geschilderte Weise, umgebracht hatte. Der Mann mußte sterben, weil Hans Schwule abartig findet. „Das ist ganz einfach deswegen, weil ich denke, daß die so ein bißchen geisteskrank sind. Durch ihre abartige Liebe – und da komm' ich irgendwie nicht mit klar, daß sowas öffentlich erlaubt wird, daß da keiner was dagegen sagt. Und deswegen hab' ich das gemacht.“ So klar spricht es kaum einer der Schwulenmörder aus. Hans S. war zur Tatzeit rechtsradikaler Skinhead. Auch das ist eine Ausnahme unter den Tätern. Seine Tat ist jedoch typisch für viele Morde an Schwulen.
Am Bahnhof einer norddeutschen Stadt spricht ihn der 73jährige Rentner an. Hans ahnt angeblich nichts. Auch, daß der Rentner ihm mehrere Biere in verschiedenen Kneipen spendiert, machte ihn nicht skeptisch. Angeblich wurde nicht über Homosexualität gesprochen. Hans bleibt weiter ahnungslos als er zum Übernachten eingeladen wird und selbst als der Rentner ein Pornovideo einlegt, vermutet er angeblich noch nichts. Erst als die Hand des Mannes auf seinem Schenkel wandert, will er es gemerkt haben. Deshalb brachte er ihn dann um. „Ganz einfach.“
Jährlich werden, unbeachtet von der Öffentlichkeit, 30 bis 40 Schwule umgebracht. Das jüngste Opfer war 16 Jahre alt, das älteste 82 Jahre. Das Durchschnittsalter liegt bei Mitte vierzig. Die Täter sind zwischen 16 und 30 Jahre alt. Ein Großteil dieser Morde findet in den Wohnungen der Opfer statt. Opfer und Täter lernen sich in der Regel an Schwulentreffpunkten wie Parks und Klappen, in schwulen Kneipen oder am Bahnhofsstrich kennen und gehen dann gemeinsam zur Wohnung des Opfers. Tatort sind zuweilen aber auch Parks und Klappen, oder die Täter suchen ihr Opfer im Umfeld schwuler Kneipen. Im Februar 1991 wurde in Frankfurt ein 29jähriger Mann erstochen, der aus einer Kneipe kam. Er war heterosexuell und wurde vom Täter nur für schwul gehalten.
In Stuttgart wurden zwischen 1979 und 1993 24 Schwule getötet und acht Mordversuche registriert. In Berlin waren es im selben Zeitraum 36 vollendete und sechs versuchte Morde. Aus anderen Städten gibt es keine Statistiken.
Mit einer bundesweiten Kampagne will der Schwulenverband in Deutschland (SVD) nun auf die „bestürzend hohe Zahl von Morden an Schwulen“ hinweisen. In einer Traueranzeige, die in allen schwulen Medien geschaltet wurde, sind von insgesamt 142 Mordopfern zwischen 1989 und 1993 69 namentlich aufgezählt. Sie alle sind Opfer anti-schwuler Gewalt, das heißt, sie wurden aus Haß oder Vorurteilen gegen Homosexuelle umgebracht. Da die Fälle erst seit kurzem dokumentiert werden, ist es schwer herauszufinden, ob ihre Zahl in den letzten Jahren zugenommen hat. Die Statistiken aus Stuttgart und Berlin belegen eindeutig keine Steigerung in den letzten 15 Jahren. Es handelt sich auch nicht um ein neues Phänomen: Bereits um die Jahrhundertwende wurden Schwule wegen ihrer Homosexualität ermordet. Magnus Hirschfeld, der Initiator der ersten Homosexuellenbewegung, berichtet detailliert von mehreren Mordfällen. Von 1949 bis 1961 wurden in Berlin 15 Homosexuelle ermordet sowie vier Mordversuche bekannt.
1961 empfahl die Berliner Polizei: „Kriminalpolizeiliche Großeinsätze sind das wirksamste Mittel, dem Strichjungenunwesen entgegenzutreten“. Die Polizei ging – und geht auch teilweise heute noch – davon aus, daß Stricher die Täter sind. Aber bereits 1957 stellte eine Untersuchung des Bundeskriminalamtes fest: „Der Mörder unter den Strichjungen ist eine Ausnahme.“ Obwohl diese Aussage auch heute nichts an Aktualität eingebüßt hat, ist die Polizei nur schleppend bereit, anti-schwule Gewalt als eigenständiges Phänomen anzuerkennen und gemeinsam mit Schwulenorganisationen Strategien zur Bekämpfung zu suchen. Der „polizeiliche Großeinsatz“, sprich Razzia, wird auch heute noch angewendet. Erst vor zwei Wochen wurden in Hannover nach dem Mord an einem 57jährigen Schwulen drei Kneipen gefilzt, um einen mutmaßlichen jugendlichen Mörder zu suchen, der unter Strichern vermutet wurde.
Andererseits gibt es auch Städte, in denen die Holzkopf- Fraktion der Polizei in Pension geschickt wurde und aufgeschlossene Beamte Dienst tun. In Stuttgart arbeiten Schwulengruppen seit 1990 eng mit der Polizei zusammen. Bei jedem Mord werden gemeinsame Fahndungsaufrufe entwickelt. Eventuelle Zeugen können sich auch an die Schwulengruppe wenden. Die Aufrufe werden von den Schwulen selbst in der Szene verteilt.
Hinter den meisten Morden steht Raubabsicht oder Schwulenhaß. Meist geben die Täter an, sie seien völlig unbedarft mitgekommen, der Schwule habe sie sexuell angemacht, sie hätten sich geekelt und dann zugeschlagen. Inwieweit die Tat aus Kalkül oder im Affekt geschieht, ist weitgehend unerforscht. Die Aussagen von verschiedenen Fachleuten widersprechen sich teilweise völlig. Hinter diesem scheinbaren Widerspruch steckt die einfache Wahrheit: beides kommt vor. Weder die Vorgehensweise noch die Motivation der Täter läßt sich über einen Kamm scheren. Tatsache ist, daß die meisten Morde mit einer ungeheuren Brutalität ausgeführt werden. Hinter dem bloßen Vertuschen des Raubes steht oft auch das völlige Ausagieren am verhaßten Schwulen. Ein jugendlicher Täter sagte vor kurzem im holländischen Fernsehen: „Wenn schon die Psychologen nicht wissen, warum ich es getan habe, woher soll ich es denn wissen.“
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