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Archiv der Kulturen der Welt

■ Das World-Music-Programm "Network" versteht sich als Forum marginalisierter Stile. Jetzt sind sieben weitere Aufnahmen aus den Archiven des WDR erschienen

Fremdes, das auf der Zunge zergeht: Die Internationalität des Warenangebots wächst, Supermärkte bieten exotische Lebensmittel aus allen Himmelsrichtungen an. Auch die Musikindustrie bemüht sich um den „einen“ globusumspannenden Sound: Songs von in Rotterdam, Neapel, Tanger oder Tokio produzierten Bands sollen möglichst hindernislos weltweit akustische Schranken, sprich Ohren, passieren. Da kommt der Weltmusik-Boom gerade recht – als moralisches Alibi, das beweisen soll: Kosmopolität endet nicht am Urlaubsziel.

Doch die steigende Zahl von World-Samplern, auf denen beziehungslos Musik nebeneinander gepfeffert wird – ein Eßlöffel bulgarischer Frauenchor, zwei Messerspitzen afrikanische Percussion, eine Prise Tango, drei Achtel Klezmer – ist erschreckend und dokumentiert unfreiwillig einen äußerst oberflächlichen Begriff von MultiKultur.

„Am Anfang stand die Idee, ein jedermann zugängliches Archiv zu machen“, erzählt Jean Trouillet, einer der beiden Herausgeber von World Network, einem Weltmusikprogramm, das andere Maßstäbe setzen will. Zusammen mit seinem Kollegen Christian Scholze stöbert er seit etwa drei Jahren in den Archiven des WDR, taucht ab in die Studio- und Liveaufnahmen, in Berge von Bändern, die der Sender seit Jahrzehnten hortet.

1991 erschien eine erste, siebenteilige Serie, die Musik aus Indien, Georgien, dem Iran, Kreta, Argentinien, den USA und Zimbabwe vorstellte. Das unlängst erschienene zweite Set (für die die Macher gerade den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhalten haben) ließ nicht lange auf sich warten. Trouillets Argument – „Wir versuchen, der Musik ein Podium zu geben, die überall runterfällt“ – ist zwar nicht neu, die sieben ausgewählten Aufnahmen verschaffen aber tatsächlich ein unerwartet intensives Hörerlebnis wenig bekannter Musik.

Die Booklets zu den CDs enthalten nicht nur für Weltmusik- SpezialistInnen lesbare Informationen – über die kulturellen Regionen, die Entwicklung der MusikerInnen, die verwendeten Instrumente –, und die so hergestellten Zusammenhänge verstärken den Eindruck, daß hier nicht nach konsumistischen Aspekten ausgewählt wurde.

„Parlez Nous A Boire“, die Nummer 14 der Serie, bietet sich zum Einstieg an. Der in Louisiana geborene Geiger Michael Doucet und seine Cajun-Band Beausoleil machen vor allem hörbar, wieviel Einfluß die Melodien und Rhythmen dieser franko-amerikanischen Folklore immer noch auf zeitgenössische Popmusik hat. Die beiden Stützpfeiler, Geige und Akkordeon, treiben sich gegenseitig an, darauf tanzt das typische anglo- amerikanisch und westafrikanisch eingefärbte Französisch der Cajuns. Schwermut und Leichtfüßigkeit liegen bei Doucet gefährlich nah beieinander; schräge, temporeiche Walzer scheut er ebenso wenig wie die Traditionen der schwarzen Cajun-Variante Zydeco oder die keltischen Wurzeln seiner Urahnen.

Die Nummer acht liefert im Begleittext ein Interview mit dem kosmopolitischen Künstler Ross Daly, dessen biographischer Trip über die Weltkugel ihn vorerst in Kreta landen ließ. Seine eurasische Musik ohne Grenzen verschmilzt arabische Rhythmen mit griechischer Tragödientradition, persischen und indischen Melodieformen und wischt geltende Landesgrenzen vom Tisch. Auf getragene asiatische Saitenklänge legt sich eine schreiende, näselnde, klagende Klarinette. Dazu kommen noch Lyra, Oud, Saz, Darabukka und Dutzende anderer originaler Instrumente.

Das Instrumentarium des Ensembles Yaki Kandru aus Kolumbien ist für europäische Ohren so fremdartig wie unaussprechlich. Huilacapitzli, eine Gefäßflöte aus dem Schädel eines Hirsches, die Quetzaltexiztli, Meeresmuscheln, die mit einem Stein angeschlagen werden, Schilfrohrtrompeten und Wassertrommeln erzeugen die magische Urwald-Ambiente-Musik. Minimalistisch, aber bestimmt ist der Einsatz einzelner Klänge, eine schroffe Rhythmik begleitet den schönen, so klassisch wie sakral wirkenden Gesang.

Scholze, einer der Gründer der Frankfurter Mediencooperative Network, die vor über zehn Jahren auszog (unter anderem mit der Herausgabe von Originaltönen der Räumung der Startbahn West), eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen, und Trouillet, Autodidakt, Afrikareisender, Weltbeat-Autor und Organisator, treffen die musikalische Auswahl. WDR-Mann und Weltmusik-Koryphäe Dr. Jan Reichow berät die beiden. Ohne Subjektivität geht trotzdem nichts: „Das Allererste ist das sinnliche Herangehen, dieser magische Moment, wenn du in der Abhörkabine sitzt und es jagt dir einen Blitz den Rücken runter. Da passiert es oft, daß du dich erst im Nachhinein mit den Stilen beschäftigst“, sagt Trouillet.

Die nicht unter musikethnologischen Aspekten getroffene Auswahl ist das große Plus der Serie, die im übrigen fortgesetzt werden soll. Vorerst aber hat, wer interessiert ist, genug zu entdecken: Die melodisch-sentimentalen Gitarrensuiten des portugiesischen Komponisten und Musikwissenschaftlers Pedro Caldeira Cabral, das koreanische Seoul Ensemble of Traditional Music und seine esoterische Kunst der Langsamkeit, den türkischen Meister und Klarinettenwirbelwind Mustafa Kandirali sowie Jonny Cleggs, Sipho Mchunus und Ladysmith Black Mambazos wunderbare Fusion von Zulu-Straßen- und Volksmusik. Den gefühlvolle Begegnung von Gitarre und rhythmisch-melodischen, geräusch- und stimmenimitierendem Chorgesang läßt ahnen, was da in Kölner Kellern noch unveröffentlicht lagert. Anna-Bianca Krause

World Network – nur bei 2001 erhältlich. Der CD-Einzelpreis liegt bei 26 DM.

Set 2: Eurasia – Ross Daly & Labyrinth „Mitos“.

Southafrica – Jonny Clegg & Sipho Mchunu/Ladysmith Black.

Mambazo „Cologne Zulu Festival“.

Turkey – Mustafa Kandirali & Ensemble „Caz Roman“.

Portugal – Pedro Caldeira Cabral „Variacoes“.

Korea – The Seoul Ensemble of Traditional Music.

Colombia – Yaki Kandru „Music From the Tropical Rainforest & Other Magic Places“.

USA – Michael Doucet & Beausoleil „Parlez Nous A Boire“.

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