: Der „Kampf gegen den Terror“
In Türkisch-Kurdistan ist die Hoffnung auf eine politische Lösung begraben – Ankaras Politiker folgen jetzt der militärischen Logik. Auch Parlamentarier und ausländische Journalisten sind in ihr Visier geraten ■ Aus Ankara Robert Mueller
In Diyarbakir, der heimlichen kurdischen Hauptstadt im Südosten der Türkei, gab am Montag der türkische Generalstabschef Dogan Güres der türkischen Tageszeitung Hürriyet ein Interview. „Eine historische Entscheidung“, schlagzeilte die Zeitung das Interview, in dem der Generalstabschef ankündigte, daß in diesem Winter die PKK („Arbeiterpartei Kurdistans“) zerschlagen werden würde. Die Wortwahl zeigt die Gangart der Militärs gegen die kurdische Guerilla an. „Sie werden alle krepieren. Inklusive der Führer dieser Organisation. Alle Offiziere und Soldaten sind fest entschlossen. Und es gibt keine Resignation. Die separatistischen Räuber haben keine Chance gegenüber dem Staat.“
Nur wenige Stunden zuvor hatte der Generalstabschef die Truppenverbände in Erzurum inspiziert. 80 Kilometer entfernt überfielen Guerilleros das Dorf Yavili und erschossen 38 Bauern. Türkische Zeitungen machten die PKK verantwortlich und schrieben, daß es eine blutige Strafexpedition war, weil die Bauern des Dorfes Mitglieder der sogenannten Dorfmiliz waren. Die PKK bestritt die Verantwortung.
Fast gehört es mittlerweile zur „Routine“, daß die PKK Dörfer, denen sie Kollaboration mit dem türkischen Staat vorwirft, überfällt. Sie entführt Lehrer und steckt Schulen in Brand. Sie hat mit der Androhung von Gewalt erreicht, daß die türkischen Zeitungen ihre Regionalbüros in den kurdischen Gebieten schlossen. Nach und nach schließen auch die Parteibüros in den kurdischen Regionen, weil die PKK ebenfalls ein Parteienverbot verfügt hat. Dutzende Menschen sterben täglich in den kurdischen Regionen. Die Opfer sind meist kurdische Zivilisten, während Militär und PKK an der Gewaltspirale drehen.
Die Hunderten von Toten – Folge des schmutzigen Krieges in Türkisch-Kurdistan allein in den letzten Tagen – haben den nationalistischen Kräften in der türkischen Innenpolitik Aufwind verschafft. „Unsere Helden fallen, aber wir geben keine Handvoll unseres Boden auf“, verkündete Staatspräsident Süleyman Demirel und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die in der Region stationierten 200.000 Sicherheitskräfte das „Problem lösen“ würden. Ministerpräsidentin Tansu Ciller spricht von einer „gesellschaftlichen Mobilisierung gegen den Terror“.
Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung, die wenige Wochen nach dem einseitigen Waffenstillstand der PKK in Erklärungen türkischer Politiker anklang, ist begraben. Kaum ein türkischer Politiker redet heute von politischen Lösungen. Yusuf Bozkurt Özal, Bruder des verstorbenen Staatspräsidenten Turgut Özal, Vorsitzender der jüngst gegründeten „Neuen Partei“, ist einer der wenigen, die sich für eine Generalamnestie für die PKK und die Aufhebung des Ausnahmezustandes einsetzen. Er steht damit völlig abseits der herrschenden Politik.
Die Falken haben gewonnen, und die Kurdistan-Politik ist inzwischen vollends in den Händen der Militärs, die geschworen haben, bis zum Frühjahr die PKK auszuradieren. Der Nationale Sicherheitsrat, dem der Staatspräsident, die Ministerpräsidentin, wichtige Minister und die Militärspitze angehören, ist zum bestimmenden Organ in der Kurdistan-Politik geworden. Die Militärs geben in dem Gremium den Ton an. Der Nationale Sicherheitsrat tagte zuletzt am Montag und sprach eine Reihe von „Empfehlungen“ aus, die in den nächsten Tagen von der Regierung umgesetzt werden sollen. Der Ausnahmezustand in den kurdischen Regionen soll verlängert werden. Ein neuer verschärfter Entwurf des Antiterrorgesetzes wurde vorgelegt. Mitgliedschaft in einer „illegalen Organisation“ wird darin mit zehn Jahren Gefängnis bestraft. Auf Propaganda im Sinne der „illegalen Organisation“ stehen fünf Jahre Gefängnis. Selbst harmlose zivile Widerstandsformen wie die Schließung von Geschäften – so bekundeten Kurden ihren Widerstand gegen staatliche Repression – werden mit Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren geahndet. Geschäftsleuten, die sich daran beteiligen, soll die Lizenz entzogen werden. Das Verbot der PKK-nahen Istanbuler Zeitung Özgür Gündem, die auf der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates zur Zielscheibe wurde, ist nur noch eine Frage der Zeit.
Die totale Aufhebung demokratischer Rechte in den kurdischen Regionen, verbunden mit der Gleichschaltung der Presse und dem Verbot jedweder Kritik an der Kurdenpolitik auch im Westen der Türkei, soll dem Militär in Kurdistan freie Hand schaffen. Die unliebsamen kurdischen Abgeordneten in Ankara sollen vor Gericht gebracht werden. Bislang wurde die Immunität der kurdischen Abgeordneten von der „Demokratischen Partei“ vom Parlament nicht aufgehoben. Anklageerhebungen wegen Separatismus, worauf die Todesstrafe steht, sind bereits von den Staatsanwälten des Staatssicherheitsgerichtes Ankara ausgearbeitet worden. Wegen der parlamentarischen Immunität konnten die Abgeordneten nicht angeklagt werden. Dies soll sich ändern.
„Wer die PKK nicht verurteilt, hat kein Recht, im Parlament zu sitzen“, urteilte Mesut Yilmaz, Oppositionsführer und Chef der „Mutterlandspartei“. Auch in der regierenden „Partei des rechten Weges“ zeichnet der Wille ab, die Immunität der radikalen, kurdischen Abgeordneten aufzuheben.
Massaker an kurdischen Zivilisten werden vom Militär des „heiligen Zieles“ wegen zunehmend in Kauf genommen. Quer durch die türkischen Parteien und den Militärapparat wird die „Wahrung der territorialen Integrität der Türkei“ und die „Zerschlagung der Terrororganisation PKK“ propagiert. Die Ereignisse in der Stadt Lice, die vergangene Woche mehrere Tage hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt blieb, waren die Vorboten grausamer Kriegführung und signalisierten die künftige Gangart. Die Abwesenheit unabhängiger Beobachter hat bislang eine Aufklärung der Vorfälle in Lice verhindert. Die wenigen, von der Ausnahmerechtsverwaltung ausgewählten Journalisten, die Lice besuchen konnten, sprechen von einer bombardierten und total zerstörten Stadt. Während nach offiziellen Angaben nur 34 Personen gestorben sind, berichteten Einwohner über Hunderte von Toten und Vermißten. Lice galt als Hochburg der PKK. Özgür Gündem berichtet unter Berufung auf einen Augenzeugen, daß, nachdem Lice bombardiert und mit Artillerie beschossen worden sei, Polizisten und Soldaten plündernd durch die Gassen zogen. Die Leichen seien anschließend mit Traktoren zur Militärkaserne und zur Polizeiwache gebracht worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen