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„...im ersten Moment bestechend“

■ Der Arbeitszeitberater Michael Weidinger über die Chancen einer besseren Arbeitsumverteilung durch Arbeitszeitverkürzung

taz: Nicht erst seit dem Vorstoß von VW ist die These populär: Wenn viele etwas von ihrer Arbeitszeit abgeben würden, hätten Tausende wieder Arbeit. Was ist da dran?

Weidinger: Die These der Umverteilung von Arbeit wirkt zwar im ersten Moment bestechend. In Wirklichkeit ist eine solche beschäftigungswirksame Umverteilung aber kaum machbar. Schon allein deswegen, weil die meisten Arbeitnehmer wohl kaum bereit sind, bei kürzerer Arbeitszeit auf einen nennenswerten Teil ihres Lohnes oder Gehaltes zu verzichten.

Bei VW wird aber wohl auch überlegt, wie man flächendeckend eine Arbeitszeitverkürzung mit teilweisem Lohnausgleich einführen könnte. Wie sähe da der Beschäftigungseffekt aus?

Eine Arbeitszeitverkürzung mit teilweisem Lohnausgleich würde in der Belegschaft zwar mit Sicherheit positiver aufgenommen werden, der Lohnausgleich würde aber auch die Arbeit verteuern. Als Folge hiervon müßte die Arbeitszeit noch produktiver genutzt werden – was nicht im Sinne der Arbeitsumverteilung wäre.

Nach unterschiedlichen Befragungen soll es ein Potential von 20 bis 30 Prozent der Arbeitnehmer geben, die bereit wären, etwa vorübergehend und unter bestimmten Bedingungen auf Teilzeit zu gehen. Diese Arbeitnehmer würden ja vielleicht auch vorübergehend Teilzeit ohne Lohnausgleich akzeptieren.

Ein solches Potential mag es geben. Freiwilligkeit bedeutet aber auch, daß weder das gesamte Verkürzungsvolumen noch seine organisatorische Umsetzung „flächendeckend“ zu planen sind. Dies aber wäre wiederum die Voraussetzung für einen nur annähernd gesicherten Arbeitsumverteilungseffekt. Wenn der Beschäftigungseffekt nicht gesichert ist, wenn die Teilzeit oder verkürzte Arbeitszeit nur dazu beiträgt, daß in der kürzeren Arbeitszeit entsprechend produktiver gearbeitet wird, dann wiederum kann man kein großes Solidaritätspotential unter den Arbeitnehmern erwarten.

Trotzdem argumentieren die Arbeitgeber, daß weiterer Stellenabbau durch verkürzte Arbeitszeiten verhindert werden kann.

Dieses Argument ist auch durchaus plausibel: Teilzeitarbeit bietet in der Krise Kostenvorteile, sofern sie zum Abbau von überflüssigen Kapazitäten führt. Und der Kostendruck für die Betriebe ist zum Teil brutal. Der Trend geht letztlich ganz eindeutig dahin, daß man versucht, mit gleichbleibendem oder schrumpfenden Personalstand eine höhere Leistung zu erreichen.

Heißt das im Klartext, so ein bißchen weniger Arbeitszeit bringt zwar eine Kostensenkung, aber eine tatsächliche Arbeitsumverteilung mit Beschäftigungseffekt ist kaum zu erwarten?

Aus meiner Sicht, leider ja. Alle aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich zielen darauf hin, daß die Produktivität gesteigert wird. In der Folge büßt die betriebliche Arbeitszeitgestaltung ihr Potential zur Arbeitsumverteilung immer mehr ein und wird im Extrem sogar selbst als Rationalisierungsinstrument eingesetzt.

Auch wenn es größere Arbeitsumverteilung durch Arbeitszeitverkürzung nicht geben wird – die flexiblere Gestaltung der individuellen Arbeitszeitdauer zum Wohle der Betriebe ist doch ein wichtiges Thema in den anstehenden Tarifverhandlungen. Wo sehen Sie da Konsensmöglichkeiten zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften?

Ich sehe ein Konsenspotential in der Form von Arbeitszeit-Bandbreiten, die dann auf betrieblicher Ebene unterschiedlich ausgefüllt werden können. Ansätze hierzu finden sich bereits in den derzeit geltenden Manteltarifen der Metallindustrie, wo man bereits heute auf freiwilliger Basis eine längere vertragliche Arbeitszeit bis zu 40 Wochenstunden vereinbaren kann. Eine weitere Bandbreiten- Regelung gibt es in der Chemieindustrie, wo das Arbeitszeitvolumen von Vollzeitbeschäftigten unter bestimmten Voraussetzungen zwischen 35,5 und 39,5 Wochenarbeitsstunden differenziert werden kann, im Einvernehmen mit dem Betriebsrat. Interview: Gaby Streckfuß

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