: Viertagewoche – ein Modell mit Tücken
Einführung der Viertagewoche, um Stellen zu sichern: Ein im ersten Moment einleuchtendes Modell. Doch die Einspareffekte sind ungewiß, vor allem wenn eine solche Regelung nur auf freiwilliger Basis ausgehandelt wird ■ Von Barbara Dribbusch
Die Unternehmen hätten eigentlich schon früher draufkommen können, denn die Rechnung ist simpel: Wenn alle weniger arbeiten, können mehr Beschäftigte bleiben – trotz sinkendem Absatz. Die gebeutelte Automobilindustrie hat jetzt den Vorteil des Zahlenspiels erkannt. Als erster Arbeitgeber schlug der VW-Konzern vor, die Viertagewoche einzuführen. Auch Opel ist interessiert. Der Deal: die Arbeitgeber sparen Personalkosten, die Beschäftigten behalten größtenteils ihre Stellen.
„Ein positives Signal“, freut sich die IG Metall. Aber der Job-Handel hat seine Tücken, für beide Seiten. Wird nämlich die Arbeitszeitverkürzung für alle verordnet, kommen die Arbeitgeber um einen teilweisen Lohnausgleich nicht herum. Für 80 Prozent Arbeitszeit müßten dann beispielsweise trotzdem 90 Prozent des Lohnes gezahlt werden. Die Beschäftigten dürften ihrerseits zwar einen Tag zu Hause bleiben, müßten aber auf 10 Prozent ihres Lohnes verzichten. Wer eine Familie mit einem Gehalt ernährt und Schulden hat, für den schlagen 400 Mark mehr oder weniger im Monat durchaus zu Buche.
Der Job-Handel könnte auch anders laufen. Am besten fänden es Gewerkschafter, „wenn die Maßnahmen auf freiwilliger Basis erfolgten und rückgängig gemacht werden könnten“, heißt es bei der IG Metall. Wenn aber nur einige wenige Freiwillige auf vier Tage verkürzten, wäre der Einspareffekt kaum zu planen (siehe Interview).
Wie auch immer eine Lösung am Ende aussehen wird – wirtschaftlicher Druck macht erfinderisch für neue Arbeitszeiten. Das zeigt nicht erst das Planspiel bei VW. „Mehr Flexibilität“ auf allen Ebenen der Arbeitszeitgestaltung fordern auch die Spitzenverbände der gewerblichen Wirtschaft, Bundesregierung und SPD-Opposition in seltener Einigkeit. Die Politik will einen Rahmen schaffen. Nach dem neuen Arbeitszeitgesetz können Unternehmen demnächst Sonntagsarbeit anordnen, wenn sie nachweisen, sonst nicht mehr international wettbewerbsfähig zu sein.
Dabei sollen nicht unbedingt längere Arbeitszeiten, sondern vor allem „flexiblerer Arbeitseinsatz“ der Beschäftigten aus der Absatz- und Kostenkrise heraushelfen, betont Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann. Beispiele für solche Abmachungen gibt es schon, etwa beim BMW-Werk in Wackersdorf. Der Betrieb produziert Kleinteile und Rohbauten für Cabrios, saisonale Schwankungen in der Auftragslage müssen abgefangen werden. Die Lösung des Problems: Die Kollegen werkeln jeweils in Neunstundenschichten, normalerweise vier Tage in der Woche. Wenn viele Aufträge anstehen, kommen sie auch mal fünf Tage. Herrscht Flaute, stehen die Facharbeiter in einigen Wochen nur an drei Tagen an den Maschinen. Übers Jahr werden die Abweichungen wieder ausgeglichen.
In der Produktion sind solche flexiblen Systeme noch selten, häufiger dagegen schon in der Dienstleistung zu finden. Im Kaufhaus Beck in München zum Beispiel stimmen sich die Verkäuferinnen in ihren individuellen Arbeitszeiten untereinander oder mit dem unmittelbaren Vorgesetzten ab. Der Clou: Die Bezahlung orientiert sich zum Teil am Kundenaufkommen. Wer dann arbeitet, wenn am meisten los ist, wird finanziell belohnt.
Noch mehr Wahlfreiheit haben die Computerexperten im Münchener Tochterunternehmen des amerikanischen Konzerns Motorola. Die 300 Beschäftigten, darunter Chip-Entwickler und Vertriebskaufleute, können ihre Arbeitszeit zwischen 6.30 Uhr und 21 Uhr weitgehend frei wählen. Auch größere Pausen zwischendurch sind erlaubt.
Wenn ein großer Auftrag ansteht, tüfteln die Beschäftigten „auch mal eine Zeitspanne lang besonders intensiv an dem Projekt“, erklärt Motorola-Personalchef Günther Frei. Nach Tagen oder gar Wochen harter Entwicklungsarbeit und vielen langen Abenden dürfen die Computerexperten dann die auf ihrem Zeitkonto angesparten freien Stunden ausgiebig „abbummeln“ oder gar einen besonders langen Urlaub genießen.
Die Flexibilität des nicht tarifgebundenen Unternehmens hat allerdings auch andere Seiten: Unlängst wurde kurzerhand die Arbeitszeit wieder von 38,5 auf 40 Stunden erhöht, mit nur teilweisem Lohnausgleich.
Nicht nur auf betrieblicher Ebene, auch in Tarifverhandlungen versuchen sich die Sozialpartner in Sachen Arbeitszeit einander anzunähern. „Die Arbeitgeber wollen mit uns den Weg der Flexibilisierung gemeinsam gehen“, meint optimistisch Harold Henke, zuständiger Sekretär für das Versicherungsgewerbe bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) in Düsseldorf.
Die HBV schlägt in den kommenden Tarifverhandlungen für das Versicherungsgewerbe ein Modell vor, nach dem sich die Beschäftigten ihre wöchentliche Arbeitszeit zwischen 25 und 40 Stunden selbst wählen können. Das Team der Kollegen spricht sich untereinander ab. Als Basis für die Vergütung soll die 35-Stunden- Woche gelten statt wie bisher 38 Stunden.
Auch die Arbeitgeberseite will flexibilisieren – allerdings in anderer Weise. „Wir hätten gerne die Möglichkeit, für einzelne Beschäftigte die Normalarbeitszeit auf 42 Stunden erhöhen zu können“, schildert Reinhard Seifert, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der Versicherungsunternehmen in Deutschland (agv). Die besonders gefragten Angestellten sollen dann auch mehr Geld bekommen.
Neue Arbeitszeiten dienen vor allem den Unternehmen. Beschäftigungseffekte in der Gesamtwirtschaft werden sie kaum bringen. Experten haben solche Effekte bei den Arbeitszeitverkürzungen der vergangenen Jahre immerhin begrenzt festgestellt. Aber „mehr als 50 Prozent der Arbeitszeitverkürzungen sind durch Rationalisierungen abgefangen worden“, erläutert Kurt Vogler-Ludwig vom Münchener Ifo-Institut. Was erzwungene Arbeitszeitverlängerung dagegen bewirken kann, zeigt sich vielleicht bald bei den Beamten. Durch die per Dekret angeordnete Verlängerung der Arbeitszeiten will der öffentliche Dienst demnächst Tausende von Stellen einsparen.
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